piwik no script img

themenläden und andere clubsCrazy Westberlin

„Was sollen wir reden, gehn wir ins Eden“

Gestern konnten wir wieder einmal den Tag der Einheit feiern: Schön am Brandenburger Tor abhängen und an den Fressständen der Bundesländer ein wenig chillen. Anlass genug, um an dieser Stelle wieder einmal über Einheit und Teilung, Ost und West nachzudenken.

„Test the West – Kost the Ost“ war ja nur die Parole der frühen Jahre, bald wurde der Westen ausgehtechnisch immer mehr vernachlässigt, auch heute noch suchen wir das Vergnügen doch hauptsächlich in den Szenebezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Der Trend zur Rückkehr in den Westen wird zwar seit längerem herbei geredet, konnte sich bis dato aber nicht wirklich durchsetzen. Aber die Zeiten ändern sich. Die Maria, einst „Maria am Ostbahnhof“, ist näher nach Westen gerückt, nur die grauen Fluten der Spree trennen sie noch von Kreuzberg.

In der Dresdner Straße auf der Rückseite des NKZ (Neues Kreuzberger Zentrum), städtebaulich gewiss eines der interessantesten Wohnanlagen der Stadt, bietet seit Neuestem die Antayala-Bar ein hochwertiges Programm aus der bewährten Mischung Film und elektronische Musik. An der Oberbaumbrücke, der Westseite wohlgemerkt, macht bald ein Technoschuppen auf, das San Remo dort brummt, und selbst im benachbarten „Café im Grenzbezirk“ hat man wieder Stühle auf der Straße stehen sehen.

Aber der wahre Westen liegt tiefer als Kreuzberg, tief im Herz der Finsternis des alten Zentrums. Statt ewig gen Osten zu fahren, heißt es jetzt gemütlich im 129er zum Ku’damm schaukeln. Vorbei am „hohlen Zahn“, an „Lippenstift und Puderdose“ wie der Urberliner bekanntlich das Ensemble am „Wasserklops“ nennt, am Europacenter, der alten Perle Westberlins mit der attraktiven Einkaufspassage im Halbdunkel, winkt am Ende der Besuch in der ältesten Dorfdisco Berlins, dem Big Eden. Der Sage Club und die Arenabetreiber haben die Ku’damm-Disco übernommen. „Was sollen wir reden, gehn wir ins Eden“ lautet der kecke Wahlspruch des berühmt-berüchtigten Amüsierbetriebs.

Schon bei der Eröffnung hatte man alles geboten und tief in das Schatzkästlein der cluborientierten Erlebnisgastronomie gegriffen. Der DJ trug eine abgefahrene schwarze Sonnenbrille zur Edeljogginghose, dazu machte er ein mürrisches Gesicht und legte Hits à gogo wie „Thriller“ und „I will survive“ auf. Gutherzige Dragqueens mit schenkelhohen Lackstiefeln und riesigen platinblonden Afroperücken führten die Gäste hoheitsvoll an die Plätze. „Big Eden“ hatte man liebevoll mit safrangelbem Zierpulver auf die weiße Tischdecke buchstabiert. Der greise Rolf Eden, dauerbegleitet von einem sehr jungen Lederminimädchen, wahrscheinlich seine Enkelin, stieg für die Fotografen immer wieder leicht hüftgelenksteif die verspiegelte Showtreppe hoch und runter.

Einige Fragen bleiben offen an diesem Abend: Sind die zwei schmierigen Vierziger mit dem bohlenblonden Haar echte Zuhälter? Werden die Tussen dafür bezahlt, vor dem Tresen zu „Lady Bump“ die Arme synchron zu schwenken? Und wie viel kostet ein Taxi, um von hier weg zu kommen? Glamourös, herrlich verrucht und ein bisschen gefährlich ist es hier in crazy Westberlin. CHRISTIANE RÖSINGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen