themenläden und andere busen: Lolo Ferrari, die Medien und der Tod
NICHT ROLF EDENS TYP
An einem Sonntag im März starb Lolo Ferrari. Vier Tage später begann die Reihe der Nachrufe in den Boulevardzeitungen und Fernsehmagazinen. Fakten, wie man so sagt, und Spekulationen. Auf Anraten ihres graubezopften Mannes, Eric Vigne (53) hatte sich die kleine Lolo Ferrari (50 kg) die größten Brüste der Welt bauen und ihren Körper auch an anderen Stellen verbessern lassen. Fünfmal wurde ihr Busen vergrößert, sechsmal wurde ihre Nase verkleinert, ihre Augenlider ließ sie dreimal liften, außerdem wurde ihr Silikon in die Stirn, in die Lippen und Wangenknochen gespritzt. Am Ende wog jede ihrer Brüste 3 Kilo, hatte sie einen Brustumfang von 130 cm, stand im Guinnessbuch der Rekorde und war entschlossen, noch auf 140 cm zu kommen. Jede Brust war jeweils mit drei Litern Kochsalzlösung gefüllt; die Plastikeinlagen wurden von einem Flugzeugingenieur entwickelt. Am Ende sah sie aus wie eine Comicfigur. Und drinnen war die Seele einer kindlichen Prinzessin. Auch in Märchen pflegen sich die Wünsche gegen den Wünschenden zu kehren, der dann im Brei ertrinkt.
Große Busen sind nicht mehr en vogue. In allen diesbezüglichen „Schnack mit Fuck“-Shows (PHIL) werden sie entschieden abgelehnt. „Du siehst scheiße aus.“ Der größte Busen der Welt erschreckte die Menschen. Niemand hat sich hingestellt und gesagt, wie geil er Lolo Ferraris Brüste findet. „Eins vorweg“, schreibt Rolf Eden in seinem Nachruf für die BZ: „Ich hatte nie etwas mit Lolo. Obwohl ich sie sehr mochte, war sie nicht mein Typ. Was vor allem an ihren übergroßen Brüsten lag [...] Ihr Charakter war größer als ihr Busen.“ Doch wer will was mit Rolf Eden haben?
Am Anfang, als sie starb, war sie noch 30; eine Woche später dann durchgehend 37. Vieles deutet auf Selbstmord. Das wird erst geklärt werden, wenn alle Bilder von Lolo Ferrari tot- und weggesendet sind.
In den Nachrufen der Boulevardmagazine sieht man, wie sie bei einem ihrer Auftritte von der Bühne fällt, oder total vollgestopft ist mit Tabletten (Prozac, Rohypnol) und Alkohol, wie es heißt, und über den Pariser Platz taumelt, immer begleitet von zopftragenden Männern oder Bodyguardtypen im Anzug. Wie Jelzin oder Rex Gildo. Man sieht sie in Dorfdiskotheken auftreten, von der „Airbag-Generation“ singen. Schnauzbärtige Männer mit triefigen Augen fassen ihre Brüste an oder knien vor ihr, um mit den Zähnen ihren Slip runterzuziehen. What can a poor boy do than to play in a Rock-'n’-Roll-Band? In einer Szene sieht man Lolo, wie sie dabei ist, einem Mann an die Wäsche zu gehen. Das zeigte man logischerweise nicht weiter; auch nicht, wie sie zuweilen wütend mit ihren Stöckelschuhen gegen die Zuschauer trat. Opfer sollte sie schon sein. Bilder von einem anderen Silikon-Girl direkt nach der Brustoperation kamen vorbei: „Ils sont gros, ils sont beaux!“
Die Berichte über die Beerdigung von Lolo Ferrari variierten das Lady-Di-Thema. Wieder wurden die Medien für ihren Tod verantwortlich gemacht und ihre falschen Freunde. „Wir wollten ein Produkt auf den Markt werfen, das es bisher nicht gab“, so ihr Manager Martin Baldauf, den man ins Gefängnis wünscht. Eric Vigne steht an einem Swimmingpool, wie man ihn aus Mainstream-Pornofilmen kennt, und sagt, er habe gewusst, wie schlecht es ihr ging, er habe aber auf Glück und den lieben Gott vertraut. Wenn sie dann tot sei, habe sie ihm gesagt, würde sie immer bei ihm sein und ihn beschützen. „Ihr habt meine Tochter umgebracht“, sagte die Mutter, die ihre Tochter mit einer Reitpeitsche erzogen und später verstoßen hatte. Statt „Candle in the wind“ hörte man Lolo singen: „Why don't you set me free“.
„Ich hasse die Realität. Ich wünschte, ich wäre völlig künstlich“, hat sie einmal gesagt. Ihren Lieblingsteddy nahm sie mit in den weißen Kindersarg, den sie sich kurz vor ihrem Tod ausgesucht hatte. Im Internet gibt es hunderte von Lolo-Ferrari-Pornoseiten ohne Trauerrand. „Hallo mein geiles Schätzchen. Lesen Sie meine geile Seite mal richtig durch“, „Grote Memmen“, „twee krullende schaamlippen“, „auch sind sehr aufregende lesbische Fickereien mit ins Programm aufgenommen“. Man kommt sich komisch vor, wenn man sich das im taz-archiv ansieht und eine Besuchergruppe schaut einem über die Schultern.
Auf manchen Websites wackeln ihre Riesenbrüste, an denen ihr Mann immer noch verdient, wie zum Abschied.
DETLEF KUHLBRODT
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