themenläden und andere Clubs Über das Nachtleben soll man nicht reden: Wenn das WMF längst geschlossen sein wird
Der Frühling kommt, die Zeit vergeht. Wenn bald die ersten Krokusse blühen, wird das WMF schon längst geschlossen haben. Seine Türen werden verriegelt sein, und kaum jemand wird sich noch an es erinnern. Zwar werden manche versuchen, ihrer gefeierten Feste wie geschlagener Schlachten zu gedenken, doch immer weniger werden ihren Erzählungen nachtrauern. Noch wenige wollen sie überhaupt hören. So wird es hoffentlich sein.
Denn das Nachtleben ist flüchtig, und wer darüber redet, bringt es in Gefahr. Weshalb an dieser Stelle auch ein vorgezogener Nachruf auf das WMF erspart werden soll, zumal der vorgezogene Nachruf gleichzeitig ein verspäteter wäre, denn mit der Lebendigkeit war es im WMF in den letzten Monaten bekanntlich nicht weit her. Andererseits möchte man nicht an dem Grab mitschaufeln, dass sich die Club-Offiziellen in ihren immer währenden Verlautbarungen über ihre entscheidende Rolle in den Bereichen Klangforschungskunst, Videokunst und Inneneinrichtungskunst herbei geredet haben. Wer Kunst predigt, wird Künstler ernten, und wer Künstler zu seinen Gästen zählt, muss sich nicht wundern, dass sie bald allen anderen Anwesenden beim Tanzen im Wege stehen.
Andererseits war auch das Gerede vom besten Club Deutschlands dem Spaß nicht unbedingt zuträglich. Das unheilvolle Prädikat suggerierte eine gewisse „Wichtigkeit“, von der sich nicht nur Leute angezogen fühlen, die sich „wichtig“ wähnen, sondern auch noch solche, die glauben, den gefühlten Mangel eigener „Wichtigkeit“ durch die Gesellschaft der vermeintlich „Wichtigen“ zu lindern. Die Häufung der so oder so gelagerten narzisstischen Störfälle mag ein interessantes Sittenbild abgegeben haben, den Partys half es nicht.
Doch dieses Problem zeigt sich nicht nur im WMF, sondern ist im Nachtleben vielmehr weit verbreitet. Mühelos ließe es sich auf das Greenwich und das Cookies wie auch die Lisa Lounge, das Magnet Mitte, die Paris Bar und die Trompete übertragen: Man ist unter sich, man langweilt sich beim Unter-sich-Sein, man bleibt aber vor Veränderungen weitgehend sicher. Dass das Publikum, das einst in eine wie auch immer geartete Szene drängte, um einem wie auch immer gearteten bürgerlichen Dasein zu entgehen, dabei exakt die Geisteshaltung entwickelt und entwickelt hat, die man in Bezug auf bürgerliche Verhältnisse spießig nennen wurde, ist dabei die wunderbare Pointe.
Sie zeigte sich unlängst, als die Band Echt beim Viva-2-Abschiedsabend auftrat, und von kleinmütigen Indie-Rock-Faschisten von der Bühne gebuht wurden, obwohl ihr Auftritt im Grunde genauso gut oder jämmerlich war, wie der von Maximilian Hecker, St. Thomas oder Phantom Ghost; sie zeigte sich auch, als die Galerie Berlin-Tokyo kürzlich ein Fest gab und es von der ansonsten eher im Casino beheimateten Technoformation Tok Tok bespielen ließ – viele, die sowohl das Casino wie auch Techno weniger aus geschmacklichen Erwägungen als aus Gründen aus einer ideologischen und damit schwer wiegenden Szeneborniertheit verabscheuen, amüsierten sich ganz prächtig, weil es sich unter dem Deckmantel Galerie Berlin-Tokyo beim Tok-Tok-Auftritt womöglich um Kunst, wenn nicht gar Ironie hätte handeln können.
Was uns diese flüchtigen, womöglich sogar grob vereinfachenden Überlegungen lehren? Es wird alles nicht besser. Wahrscheinlich war es aber auch nie besser, was die Sache eigentlich nur schlimmer macht. Wahrscheinlich war es schon immer so. Weswegen von nun an gilt: Über das Nachtleben soll man nicht reden. Denn wer darüber redet, bringt es in Gefahr. Somit bleibt an dieser Stelle nicht mehr zu sagen als: Der Frühling kommt, die Zeit vergeht. Das ist Berlin im Jahre 2002.HARALD PETERS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen