taz.lab-Panel zu Sexismus im Netz: „Digitale Schlägertrupps“
Mobbing und mangelnde Interventionskultur plagen Feministinnen im Internet – sagen Anke Domscheit-Berg, Anne Wizorek, Bernd Schlömer und Katrin Rönicke.
BERLIN taz | Das Netz: gedacht als neutraler Kommunikationsraum, als Eins-Null-Raum, Strom an, Strom aus, als einer, der mit Algorithmen funktioniert und nicht mit Emotionen. Weit gefehlt. Vor allem diejenigen, die sich mit feministischen Ideen oder Forderungen in Blogs, in Foren, auf Debattenplattformen positionieren, müssen mit übelsten Reaktionen rechnen.
Wer sich im Netz für Gleichberechtigung, gegen sexistische Gewalt, für die Quote oder andere feministische Gerechtigkeitsthemen einsetzt, wird beschimpft, beleidigt, gebasht, gemobbt und nicht selten in seiner sexuellen Integrität in Frage gestellt. Feministische Plattformen können als Blaupause verstanden werden, die eines zeigt: Sexismus ist ein gesellschaftlicher Fakt. Darum ging auf der taz-lab-Veranstaltung „Frauen fürs Netz gesucht“. Auf dem Podium die Managerin und Piratin Anke Domscheit-Berg, die Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek, die Bloggerin Katrin Rönicke und Bernd Schlömer, der Vorsitzende der Piratenpartei.
Anke Domscheit-Berg, die sich vor allem dafür einsetzt, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, liest zu Anfang der Diskussion ein paar der Mails vor, die sie bekommen hat. Da schreibt einer: „Normale Frauen soll man nicht schlagen, aber Feministinnen brauchen Schläge auf den Kopf.“ Ein anderer fordert: „Alle Feministinnen über Fukushima abwerfen.“
Wieder einer vergleicht Feministinnen mit dem neuen Berliner Flughafen BER. „Der BER hat nur 20.000 Mängel, also 0,00001 Prozent der Mängel einer Feministin.“ Sie hat die Beschimpfungen gesammelt und könnte locker eine Stunde füllen. „Man kann, wenn man das so vorliest, lachen, aber es ist nicht lustig“, sagt sie. Auf einem Feminaziwatchblog – einem Blog also, der Feministinnen mit Nazis vergleicht – steht sie auf Rang 1.
Abschied von Twitter
Alle auf dem Podium sind sich einig: Solche Attacken haben einzig zum Ziel, die Frauen zum Schweigen zu bringen. Bei Katrin Rönicke, die als Journalistin über Geschlechterdemokratie schreibt und Mitglied des Frauenrats der Heinrich-Böll-Stiftung ist, hat der Shitstorm bereits gewirkt: Sie hat ihren Twitter-Account mit 2.000 Followern verschenkt.
Auch Anne Wizorek, die mit ihrem Aufschrei-Ausruf auf Twitter unglaublich viele Frauen motivierte, ihre Erfahrungen mit Sexismus im Alltag offen zu legen, meint, Twitter sei zeitweise für sie nicht mehr nutzbar. „Wenn solche Frauen wie du ihre Vötzchen und ihre Titten rausstrecken“, hätte ihr kürzlich einer geschrieben, „und bei dem Namen, könne sie ohnehin gleich zurück nach Polen“. - Zum Sexismus komme also gleich noch Rassismus dazu, meint sie.
Es geht, darin stimmen alle überein, um die Herabwürdigung der Frau. Sie werden in ihrer sexuellen Integrität angegriffen, in ihrem Aussehen, in ihrer Person. Bei Männern hingegen, berichtet Bernd Schlömer, der Piratenchef, zielten die Angriffe selten auf die Person, ihnen werde bei Shitstorms eher die Kompetenz fürs Thema abgesprochen. Wie mit dieser Aggression indes umzugehen sei, ist schwerer zu beantworten.
Keine Interventionskultur
Es stellt sich in der Diskussion heraus, dass der virtuelle Raum auch beim Umgang mit Sexismus die Situation im realen Raum spiegelt: Frauen, die im Netz angemacht werden, machen dies in der Regel mit sich selbst aus, sie bleiben allein. Sie müssen ganz für sich Strategien entwickeln, wie sie mit den Beschimpfungen umgehen. Es gebe im Netz keine Interventionskultur, meint Anke Domscheit-Berg. Niemand fühle sich für Hausfriedensbruch im virtuellen Raum zuständig.
Wie im richtigen Leben wirkt es auch im Netz meist nicht, wenn die sexistisch Beschimpften versuchen, sich selbst zu wehren. Stattdessen müssten Dritte den Anmacher in die Schranken weisen, ihm klar machen, dass seine Kommentare beleidigend und unsachlich seien und dass sie den Diskurs töteten. „Soziale Sanktionen, das fehlt in Deutschland noch zu sehr“, sagt Domscheit-Berg.
Wenn Kinder auf dem Schulhof andere mobben und viele zugucken, dann gebe es Interventionsworkshops, um den Kindern klar zu machen, wie sie sich einmischen können. Im Netz dagegen gibt es ebenfalls Opfer und Aggressoren, „digitale Schlägertrupps“ und viele Zuschauer – aber niemand von außen reagiere.
Bleibt Selbstverteidigung. Anke Domscheit-Berg etwa schickt Hassmails oder Hasstweets weiter, retweetet sie und schafft sich so eine größere Öffentlichkeit. Wenn es ganz schlimm wird, stellt sie – obwohl eine Gegnerin der Internetzensur – auch Anträge beim Twitter, dass die Benutzerkonten von Hassmailschreibern geschlossen werden.
Der Einwand, dass man sich im Netz ja eine geschlechtsneutrale Identität geben könne, und das Problem so in den Griff bekommen könne, wird nicht akzeptiert. Es kann nicht sein, dass man einen Teil seiner Identität verleugnen solle, wenn man sich im Netz äußere. Männlich und weiblich, das sei nicht nur eine Frage der Sozialisation meint Rönicke. Sie ist dafür, dass die die im Netz unterwegs sind, möglichst Klarnamen zeigen und zu sich stehen. „Das heißt auch, dass man angreifbar wird.“ – Was es nicht heißt: Dass man angegriffen werden soll.
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