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taz lab

taz-lab-Kolumne weiter/machen #10 Zahnschmerzen mit Aussicht

Unser Autor hat in Zahnarztpraxen mehr als nur Bohrer kennengelernt – spannende und skurrile Geschichten!

Nicht unbedingt angenehm: Sichelsonde und der Mundspiegel zwischen Zähnen und Zunge Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Kontinuität spielt in meinem Leben keine große Rolle. Das zeigt sich schon an den Zahnarztpraxen, in denen ich hausieren war. Als Kind spürten meine Eltern mit mir Praxen in jedem Winkel Münchens auf, später folgten Behandlungsstühle in Augsburg, Wien, Leipzig, Den Haag und Berlin. Immer wenn ich mit meinem gelben Bonusheft antanze, fühle ich mich in meine Milchzahn-Ära zurückversetzt und sammle die Stempel der Zahn­ärz­t:in­nen wie früher Panini-Sticker auf dem Pausenhof.

Das Schöne an dieser Nicht-Kontinuität: Zahnschmerzen mit unterschiedlichsten Aussichten! Ich habe aus dem Wartezimmer bereits über den Naschmarkt und den Internationalen Strafgerichtshof geblickt. Darüber hinaus? Spannende Geschichten – denen man ehrlich gesagt ausgeliefert ist, da Zwischenrufe mit Sichelsonde im Mund eher schwierig sind.

Ein Leben lang in Ostberlin

„Sind Sie in Ostberlin aufgewachsen?“, stellte ich vor Kurzem in Friedrichshain der Zahnärztin eine Frage, um mich aus der Gesprächspflicht zu nehmen. Treffer! Ihr Vater war Türsteher auf dem RAW-Gelände und alles andere als im Kuschelkurs mit Honecker. Plötzlich kam der positive Bescheid für den Ausreiseantrag. Möbel wurden verkauft, Taschen gepackt, Freunde verabschiedet – und dann, am Tag des Aufbruchs, der Sinneswandel. Der Vater entschied, zu bleiben. Wegen eines schlechten Traums. Alles retour: Nach­mie­te­r:in­nen wurden mit 50 DDR-Mark abgefrühstückt, Möbel zurückerkauft, Kleidung wieder auf die Bügel gehängt.

So ist sie ihr Leben lang in Ostberlin geblieben. Während ich in meinem Städte-Chaos lebe, faszinieren mich solche Kontinuitäten immer mehr. Zum Abschluss, ohne Loch und mit sauberen Zähnen, lud ich sie zum taz lab am 26. April ein. Sie wird es sich überlegen, sagte sie, während sie mein Bonusheft mit einem weiteren Stempel versah.

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