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taz-adventskalenderBerlin ein Zuhause?

Maxim Leo: „Wo wir zu Hause sind. Die Geschichte meiner verschwundenen Familie“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, Hardcover, 364 Seiten, 22 Euro

Wer etwas über Berlin lesen will, hat viel Auswahl. Die schönsten Schriftstücke stellt die taz bis Weihnachten täglich vor. Und es geht nicht nur um Bücher!

Wie würde Berlin heute aussehen, wie würden wir hier alle zusammenleben, was wäre das für eine Stadt, wären nicht so viele Menschen – jüdische Menschen – von den Nationalsozialisten vernichtet oder vertrieben worden? Und warum kommen trotz dieser furchtbaren Vergangenheit so viele jüdische Menschen heute hierher zurück?

Weil sie hier auch und immer noch zu Hause sind, lautet eine Antwort, die Maxim Leo gibt. Leo spürt in seinem Buch der Geschichte seiner eigenen jüdischen Familie nach. Die Erzählungen über die grausame Verfolgung der Juden in Deutschland, in Berlin enden meist mit deren Tod oder Flucht. Maxim Leo setzt an diesem Punkt an und verfolgt, wie es seinen Großeltern und deren Geschwistern und Nachkommen bei und nach der Flucht aus Berlin ergangen ist, was sie erlitten, wie sie versucht haben, sich an anderen Orten der Welt ein neues Leben auf dem Boden ihrer schrecklichen Erfahrungen aufzubauen. Und warum einige von ihnen nach Berlin zurückkehren, gar wieder deutsche Staatsbürger werden.

Es ist ein Buch, das am Beispiel Überlebender, die dennoch ein Leben verloren haben, aufzeigt, was die Bedrohung der Auslöschung, was Flucht und der Aufbau eines neuen Lebens für die Flüchtlinge bedeutet und wie lange die Erinnerung in ihre Leben hineinwirkt.

Leo kommt dabei ohne dramatische Adjektive aus. Oft liest man sein eigenes Erstaunen über die Biografien der von ihm bei den Recherchen teils neu kennengelernten Verwandten mit, auch sein Erstaunen darüber, wie manche von ihnen Berlin, auch ihr eigenes Deutschsein wiederentdecken. Etwa beim ersten Besuch seines israelischen Cousins Amnon in Berlin: „Amnon sagte damals, ein Teil von ihm sei schon immer hier gewesen. Er lief durch diese fremde Stadt und spürte eine irritierende Geborgenheit, etwas, das man eigentlich erst empfinden kann, wenn man schon länger an einem Ort zu Hause ist. Er ging durch die große Empfangshalle der Humboldt-Universität, in der sich seine Großeltern kennenlernten. Er fuhr zum Bahnhof Grunewald, wo sein Urgroßvater Viktor Wittenberg in den Zug nach Theresienstadt gesteckt wurde. Er aß die Zimtplätzchen auf dem Weihnachtsmarkt, die ihn an die Kuchen erinnerten, die Nina zum Chanukka-Fest buk. Er war wie ein staunendes Kind, das plötzlich entdeckt, dass die Geschichten, die von den Großeltern erzählt werden, wirklich wahr sind.“ Es ist deshalb, bei allem Schrecken, ein Mut machendes Buch. Berlin könnte ein Zuhause sein. Alke Wierth

Berlin-Faktor: optimistisch

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