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taz-adventskalender „24 stunden“ (7)7 Uhr in der Unterkunft

Schnell noch frühstücken, dann müssen die Gäste raus. Erst am Abend dürfen sie wiederkommen. Mit St. Pius sind sie dennoch zufrieden.

Wenigstens ein Dach über dem Kopf und ein Bett zum Schlafen Foto: picture alliance/dpa | Monika Skolimowska

Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 7 Uhr in einer Obdachlosenunterkunft in Friedrichshain.

Kurz vor sieben Uhr, es ist immer noch dunkel in Friedrichshain. Kalt sowieso, aber wenigstens hat der Regen aufgehört. Die Glocken der St. Pius Kirche in der Nähe des Strausberger Platzes läuten, ansonsten ist kaum etwas los auf den Straßen.

Im Keller des mehrstöckigen Gemeindehauses nebenan gibt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin Frühstück aus. Frisch gebrühter Kaffee, Crossaints, belegte Brötchen. Im hell beleuchteten Frühstückssaal sitzen ein halbes dutzend Gäste. Ein Mann cremt sich die Hände ein, ein anderer steckt ein Ladekabel in die Steckdose. Gespräche gibt es kaum.

In einer knappen Stunde schließt die Unterkunft, dann müssen alle der 25 wohnungslosen Gäste, die in dieser Nacht hier Obdach gefunden haben, wieder auf die Straße. Abends ab 19 Uhr können sie wiederkommen, um 20 Uhr gibt es sogar Abendbrot.

„Es gibt wenig zu kritisieren“, sagt ein Mann mittleren Alters, der eine Schiebermütze trägt und mit osteuropäischen Akzent spricht. Im Vergleich zu anderen Unterkünften sei St. Pius sehr angenehm. Statt Schlafsaal gäbe es abschließbare Viererzimmer, vor dem Haus sogar einige private Container, wo man allein schlafen könne. Auch das Essen sei gut.

Plätze sind schnell vergeben

Im Winter schlafe er regelmäßig in Notunterkünften. „Anders geht es nicht“. Das einzige Problem an Pius sei nur, hier einen Platz zu finden. Heute sei er erst um 9 Uhr gekommen, aber trotzdem war noch ein Platz frei „Ich hatte Glück“, sagt Dennis.

Die Kältehilfe Saison startet im Oktober und geht bis Ende März. Dieses Jahr gibt es in Berlin insgesamt 1.000 Betten in Notunterkünften. Falls es zu kalt wird oder sie eine Pause brauchen, können Obdachlose Menschen unkompliziert eine warme Bleibe finden, allerdings nur bis zum morgen, dann schließt die Unterkunft.

Auf die Frage, was er gleich machen wird, weicht Denis aus. „Jemand arbeitet, jemand genießt das Leben auf seine Weise, jemand sucht Hilfe“.

Unter Menschen, die auf der Straße leben, haben Notunterkünfte oft einen schlechten Ruf. Riesige Schlafsääle, in denen sich kaum Ruhe finden lässt, das Risiko, beklaut zu werden oder sich mit ansteckenden Krankheiten zu infizieren. Und auch das Alkoholverbot schreckt viele suchtkranke Menschen ab, in Unterkünften zu übernachten.

In St. Pius ist es sauber und ruhig. Wer will, kann auch mehrere Nächte am Stück bleiben und seine Sachen über den Tag dalassen. Erst wenn man zwei Nächte infolge fehlt, geht der Platz verloren.

„Alkoholismus ist ein großes Problem.“, sagt Schwester Martha, die in der Unterkunft arbeitet. Manchmal kämen die Gäste so betrunken an, dass man sie noch ein paar Stunden spazieren schicken müsste. In der Unterkunft selbst herrscht ein strenges Alkoholverbot. „Sie geben sich Mühe“, sagt Schwester Marta. Aufgrund der Gemeinschaft im Haus würden viele Gäste stärker auf sich achten, weniger trinken und häufiger duschen.

Viele der Gäste, die vor allem aus Polen, Rumänien und Bulgarien kommen, würden aber auch regelmäßig arbeiten gehen, sagt Schwester Martha. „Die Leute können hier eine gewisse Stabilität finden, das hilft dabei“.

Es ist kurz vor acht, mittlerweile hell. Als letzter Gast verlässt Denis die Unterkunft, im Schlepptau einen Rollkoffer.

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