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taz-adventskalender „24 stunden“ (14)14 Uhr im Stadtbad Neukölln

Eigentlich ist Berlin in den neun dunklen Monaten des Jahres unbewohnbar. Zum Glück gibt es öffentliche Saunen – wenn sie auch zu teuer sind.

Wunderschön und leer: Das Stadtbad Neukölln um die Mittagszeit Foto: IMAGO / Achille Abboud

Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 14 Uhr in der Sauna des Stadtbads Neukölln.

Berlin, du kannst so hässlich sein. Ich stehe am Bahnsteig und die U-Bahn kommt mal wieder zu spät. Die Menschen drängeln sich, obwohl es mitten am Tag ist. Kein Wunder, so wie die BVG kaputtgespart wird. Um mich herum Gerotze und Gehuste. Ich hasse den Winter. Und wie schlecht gelaunt die anderen alle wieder aussehen. Genervt funkele ich sie an, sollen sie ruhig merken, was für grimmige Menschenfeinde sie sind. Ich ziehe mir meine Kapuze ins Gesicht.

Zum Glück breche ich heute aus. Heute entfliehe ich der Tristesse der alltäglichen Lohnarbeit, dem Grau und dem Matsch und all der schlechten Laune. Heute gehe ich saunieren. Ich weiß: Von ein paar Stunden in diesem Tempel der Wärme kann ich zwei Wochen lang zehren. Abends aber sind die wenigen öffentlichen Saunen dieser Stadt gern mal überfüllt. „Heute leider nicht“, heißt es da am Eingang schon mal – wie vor dem Berghain.

Dieses Mal habe ich mir deshalb vorgenommen, schon um die Mittagszeit zu gehen, um 14 Uhr. Raus am Rathaus Neukölln, vorbei an den Kaufsüchtigen, noch etwas die Karl-Marx-Straße runter, dann abbiegen in die Ganghoferstraße und ich bin da. Kaum habe ich das Stadtbad Neukölln betreten, herrscht Stille. Der Straßenlärm bleibt draußen, sofort. Ein kleines bisschen Chlor liegt in der Luft. Es ist warm. Ich bin angekommen: Ab jetzt ist Quality Time, nur noch die eigenen Bedürfnisse zählen, denke ich – und merke, wie die Lebensfreude in mir wieder erweckt.

Eine Parallelwelt

Das Stadtbad Neukölln ist ein historisches Gebäude, bereits 1914 eröffnet. Es ist ein Relikt aus einer Zeit, in der öffentliche Dienstleistungen noch mit Anspruch gebaut wurden. Die Badehallen wurden nach dem Vorbild römisch-griechischer Thermen errichtet. Die hohen Decken, die Mosaike und die Säulen vermitteln ein Gefühl von Wertschätzung. Hier wurde Öffentlichkeit und Luxus zu verknüpfen versucht, denke ich mir.

Es ist fast nichts los, kein Wunder, bei der Uhrzeit. Nur eine vielleicht 16- oder 17-jährige Schülerin steht vor mir an der Kasse. „Und in der Sauna muss man sich wirklich ausziehen?“, fragt sie etwas schüchtern. Als der Kassierer bejaht, nickt sie enttäuscht. „Dann erstmal nur einmal Schwimmen bitte. Ich bin aus Ägypten, wissen Sie? Ich muss unbedingt mal wieder schwimmen“, erzählt sie. Wirklich zu interessieren scheint den Kassierer aber nur, ob sie einen Schülerausweis dabei hat.

Als ich zur Sauna gehe, sind die Flure leer. Ein seltener Anblick. Nur wenige Schwitzgesellen geistern durch die Gänge. Alles Männer übrigens. Warum keine Frauen hier sind? Wahrscheinlich wegen der ganzen Männer. Dieser Tempel der Wärme, er schließt auch Menschen aus. Drei Stunden Sauna kosten inzwischen 20 Euro, leisten kann sich das auch nicht jede:r. Eigentlich sollte es ein Menschenrecht sein, in den kalten Berliner Wintern nicht frieren zu müssen.

Der Saunameister macht keine Faxen

Ich komme gerade rechtzeitig zum Aufguss. Eigentlich ist mir das nichts, direkt nach dem Ankommen gleich ein Aufguss. Aber es sind nur fünf Leute da, eine einmalige Gelegenheit. Und sonst verpasse ich wieder die volle Stunde. Also schnell rein in die Hitze, die mir entgegenschwallt. Einen Rotbusch-Aufguss habe er dabei, sagt der Saunameister, er stellt sich als Thomas vor. Es werde schon ganz schön heiß, man dürfe die Sauna jederzeit verlassen. Und dann geht es schon los.

Und tatsächlich: Thomas macht keine Faxen. Spätestens beim zweiten Aufgießen brennt mein ganzer Körper. Ich verschränke die Arme hinter meinem Kopf, um die ganze Hitze aufzunehmen. Meine Haare fühlen sich an, als würden sie versengen. Doch Thomas hört nicht auf, mit einem Fächer Hitzewellen in meine Richtung zu schießen. Es ist geil. Aber der Kreislauf beginnt sich zu melden. Die ersten gehen raus. „Du ballerst aber auch ordentlich durch, oder?“, sagt einer zum Saunameister, dem das alles gar nichts auszumachen scheint. „Och, joa, 95 Grad“, sagt der, als wäre das Nichts. Allgemeine Heiterkeit.

Der Geheimtrick nach dem Saunieren lautet dann: direkt aufs Dach. Nicht in das Kneippbecken, so schön das auch ist, sondern raus, durch dieses etwas versteckte Treppenhaus auf die kleine Dachterrasse, die ironischerweise „Sonnenterrasse“ heißt, obwohl sie die allermeisten wohl nur im dunklen Winter zu Gesicht bekommen. Dort dampft der Körper am besten aus. Hier oben, über der Stadt, auf dieser kleinen schmucklosen Fläche zwischen Lüftungsanlagen, ist es ganz still. Und schon beginnt der Stress abzufallen.

Dann nach unten auf eine der Liegen. Der Aufguss hat mich ausgeknockt. Ein bisschen wie Bongrauchen, denke ich noch, es haut einen einfach um, nur ist es vielleicht gesünder. Dann nicke ich schon ein. Es ist kein tiefer Schlaf, aber einer, bei dem sich überhaupt einmal der Stress der Arbeitswoche zeigt. Als ich aufwache, bin ich wieder geerdet. Ich bleibe noch einige Minuten liegen, dann stehe ich auf. Zeit für Runde zwei.

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