taz-Serie "Kinder auf der Flucht" (IV): "Ich lebte wie Mogli"

Neun Millionen Kinder sind weltweit auf der Flucht - neun Millionen Gesichter und Geschichten. Wir erzählen fünf davon. Auch die von Louisa Maria Velasquez aus Kolumbien.

Seit fünf Jahren lebt Louisa in einem Elendsviertel von Barranca. Bild: ton koene

Die zwölfjährige Louisa Maria Velasquez musste vor fünf Jahren aus ihrem Dorf im kolumbianischen Dschungel fliehen. Dies ist ihre Geschichte:

Drei Millionen Menschen sind in Kolumbien auf der Flucht vor dem seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkrieg zwischen den Rebellengruppen Farc und ELN, den Paramilitärs und dem kolumbianische Militär. Um die dreitausend Menschen sterben Jahr für Jahr durch den Konflikt. Kinder ahmen die Gewalt, die sie auf der Straße sehen, nach. Sie spielen mit Spielzeugpistolen oder schließen sich Banden an. Farc und ELN kämpften einst für linke Ideale: Das Einkommen aus Öl und Gold sollte gerechter verteilt werden. Inzwischen scheint von dieser Ideologie wenig übrig zu sein. Menschenrechtsorganisationen werfen den Rebellen vor, jedes Jahr rund 750 Menschen zu entführen, um Lösegeld zu erpressen. Paramilitärs, ursprünglich Söldner von Drogenbaronen, die ihr Eigentum schützen wollten, werden für Morde, Folter und Vertreibungen verantwortlich gemacht. Zwischen den Paramilitärs und dem Militär soll es enge Verbindungen geben. Alle Parteien werden beschuldigt, mit Drogen zu handeln.

"Ich war sieben Jahre alt, als ich im Kanu über den Fluss Magdalena um mein Leben paddelte. Meine Eltern und meine älteste Schwester Aura paddelten wie verrückt mit. Wir waren auf der Flucht vor Männern mit Gewehren. Ein paar Stunden zuvor waren sie plötzlich in unser Dorf gestürmt. Während das Wasser in mein Gesicht spritzte, dachte ich an all das, was ich zurückließ.

Ich bin im kolumbianischen Dschungel aufgewachsen. Ich baute Hütten aus Bananenblätter und spielte mit meinen Schwestern Verstecken. Meine Eltern hatten viele Tiere. Ein bisschen glich mein Leben dem von Mogli aus dem Film "Das Dschungelbuch".

Ich weiß nicht mehr genau, wann die Männer mit den Waffen zum ersten Mal in unser Dorf kamen. Ich weiß aber wohl, dass sie immer wieder kamen und ich wirklich Angst hatte. Sie hämmerten an die Tür und forderten etwas zu essen. Ich weiß nicht, wer die Männer waren. Mama sagte, dass sie schon lange kämpfen und selbst auch nicht mehr genau wissen, um was es eigentlich geht.

Eines Morgens kamen wieder Männer mit Gewehren in unser Dorf und riefen, dass sich alle davonmachen müssten. Mein Vater griff mich beim Arm und rief: ,Dieses Mal ist es ernst! Renn!' Nach ein paar Stunden kamen wir in Barranca an, der Stadt, in der ich nun schon seit fünf Jahren lebe. Ich hatte gehofft, dass wir hier sicher sein würden. Aber das sind wir nicht. Mein Vater ist in die Berge geflüchtet. Die Männer aus dem Dschungel waren noch immer hinter ihm her. Wenn der Krieg vorbei ist, dann kommt er wieder nach Hause. Aber wann es so weit ist, weiß ich nicht.

Louisa mit ihrer Familie auf einem "Motorradtaxi". Bild: ton koene

Manchmal schreibe ich Papa abends einen Brief. Ich erzähle ihm von all den schönen Dingen, die ich erlebt habe. Ich finde, das ich doch wirklich ein schönes Leben habe. Ich würde mir nur wünschen, dass wir weniger arm wären."

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