taz-Serie: Gut vorankommen: Einfach mal in die Luft gehen

Im kolumbischen Medellín gibt es eines der besten ÖPNV-Systeme der Welt. Die Hauptstadt Bogotá dagegen hat noch enormen Nachholbedarf.

Die Metrocable ist nicht nur ein Highlight für Tourist_innen, sie wird auch von Einheimischen genutzt Foto: Knut Henkel

BOGOTÁ/MEDELLÍN taz | Das Bild mit den im Stau stehenden knallroten TransMilenio-Bussen hat Jaime Barrientos auf seiner Facebook-Seite gepostet, weil es für Bogotá und dessen latenten Verkehrsinfarkt steht.

Die modernen Busse mit dem gelben Schriftzug gelten eigentlich als innovativste Verkehrsalternative in Kolumbiens Hauptstadt und haben in der Theorie immer Vorfahrt. „Aber in der Praxis ist das System an seine Grenzen gestoßen, das Wort Stau ist längst zum Synonym für den Verkehr in der Hauptstadt geworden“, sagt Barrientos.

Dass er selbst dabei ganz entspannt ist, liegt daran, dass er dem alltäglichen trancón, dem Stau, entkommen ist. Der Reporter ist vor einem halben Jahr von Bogotá in seine Geburtsstadt Medellín gezogen.

Im Bayern Kolumbiens

Medellín ist die Hauptstadt Antioquias, des wirtschaftlich potentesten Verwaltungsbezirks des Landes. Die Region gilt als das Bayern Kolumbiens, die Bewohner, die Paisas, werden gern als gewitzt, ehrgeizig, etwas jähzornig und innovativ charakterisiert. Tatsächlich hat ihre Hauptstadt der landesweiten Hauptstadt verkehrspolitisch vieles voraus.

Die Metro zum Beispiel, die das Aburrá-Tal, das die Stadt beherbergt, von Norden nach Süden und von Osten nach Westen durchschneidet. Dadurch ist Medellín mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern die einzige Stadt in Kolumbien mit einer U-Bahn, die allerdings meist oberirdisch unterwegs ist. Doch das System funktioniert.

„Es hat den Verkehrsinfarkt verhindert und dafür gesorgt, dass wir in unserem Talkessel nicht ersticken“, lobt Barrientos. Der Journalist ist regelmäßig mit der auf Betonstelzen ruhenden Bahn unterwegs, die 1995 eingeweiht wurde und gepflegt wird wie die dicken Bronzestatuen von Fernando Botero. Die stehen in der Innenstadt, sind ein Highlight für Medellín-Besucher und längst Teil der Paisa-Identität. Gleiches gilt für die Metro, deren Stationen genauso blitzeblank gewienert sind wie die Statuen.

Ähnlich sieht es in dem Waggon aus, der uns vom Parque Berrio im Zentrum in den Vorort Bello bringt, wo die Verwaltung der städtischen Metro de Medellín sitzt. Keine Graffiti, kein Müll und auch kein Gedränge – in Medellín geht es geordnet zu. Dafür sorgt das Personal, aber auch die Nutzer sind pingelig. „Von Beginn an ist die U-Bahn als etwas angepriesen worden, das man schützen müsse. Ich bin damit aufgewachsen“, erklärt Barrientos.

Wirtschaftsfaktor Seilbahnstation

Genauso ist es mit der dazugehörigen Seilbahn, die Metrocable, die derzeit mit drei Linien vor allem die ärmeren am Rande des Talkessels liegenden Vororte an das Zentrum anbinden. „Die sind zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, denn rund um die Stationen siedeln sich kleine Unternehmen an“, erklärt Juan David Correa, Pressesprecher der städtischen Metro de Medellín, bei unserem Besuch in der Zentrale. Das deckt sich mit der Einschätzung des britischen Stadtethnologen, Peter Charles Brand, der seit dreißig Jahren hier lebt und an der öffentlichen Universität von Antioquia lehrt: „Medellín hat eine öffentliche Verwaltung, die die Gewinne aus der öffentlichen Energiebetrieben, Müllabfuhr und anderen Dienstleistungen reinvestiert. Sie plant, hat ein Verkehrskonzept und beachtliche Mittel zur Verfügung“, lobt er.

Zum Konzept gehören auch die Straßenbahn, die derzeit entsteht, sowie die zwei Seilbahnlinien, die noch in Bau sind und weitere Vororte anbinden sollen. „Dadurch entsteht auch die Option, am Wochenende mal einen neuen Stadtteil von Medellín zu entdecken – ganz ohne Auto“, erklärt Barrientos.

Der Journalist besitzt zwar ein Motorrad, ist aber zwischen Arbeitsplatz und Appartment meist zu Fuß unterwegs – zusätzliche Lebensqualität, an die in Bogotá nicht zu denken gewesen sei. Er kann sich durchaus vorstellen, irgendwann mal aufs Fahrrad umzusatteln, wenn die Radwege tatsächlich ausgebaut werden.

Den Drahtesel hat er hin und wieder schon in Bogotá genutzt, wo am Sonntag einige der Hauptverkehrsadern für Skater und Radfahrer reserviert sind. Ein Indiz dafür, dass sich irgendwann auch in Bogotá etwas ändern könnte. Doch darauf zu warten war für Barrientos keine Option. Er genießt die Rückkehr nach Medellín und freut sich daran, dem täglichen trancón nur noch auf Bildern zu begegnen.

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