taz-Serie Berliner Bezirke (6) : Neukölln: Rock'n Roll in Rudow
Frühstück beim Milchbauern, Kuchen im Heimatverein, danach mit Spielmannszug und Pferdekutsche durch die Kleingärten: ein Samstag im Neuköllner Süden.
Musik schallt über den schattigen Rasen hinter der alten Dorfschule in Rudow, "Splish Splash", "Schöner fremder Mann" - alte Rock-n-Roll-Lieder. Es gibt Kaffee und selbst gemachten Kuchen; die einstige Schule von Alt-Rudow ist mittlerweile ein Kulturhaus für Jung und Alt. Heute sind eher Ältere da. Bei den alten Songs lassen sie ihre Füße sachte mitwippen. Menschen türkischer oder arabischer Herkunft sind unter den Gästen nicht. Im Gartenhaus der Dorfschule eröffnet der Rudower Heimatverein heute eine Ausstellung alter Rundfunkgeräte.
Deshalb die Sixties-Melodien. Die Zeit läuft tatsächlich ein bisschen anders hier im Süden Neuköllns, und auch die Bilder von Migration und Integration sind andere. Als Manfred Ziemer, Vorsitzender des Heimatvereins, höflich-galant die "Vertreter befreundeter Vereine" begrüßt, schmunzelt der Abgesandte der "Britzer Briefmarkenfreunde", dass er "eigentlich gar kein richtiger Britzer", sondern Zuwanderer sei: in den 50er Jahren aus Tiergarten hergezogen - dort war die Familie im Zweiten Weltkrieg ausgebombt worden.
Peter Scharmberg bewegt sich unter den Gästen wie auf einem Familienfest mit lieben, alten Verwandten. Seit 22 Jahren sitzt Scharmberg für die SPD in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Neukölln, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender, war Vorsitzender der Ausschüsse für Naturschutz und Grünflächen, für Hochbau- und Bebauungspläne, für Verkehr. Und natürlich ist Scharmberg auch Vorstandsmitglied der Rudower SPD. Zwischen den gesetzten Delegierten der Heimat- und Briefmarkenfreunde in altehrwürdigen Anzügen wirkt der agile, schlanke Mann in Jeans und schwarzem Hemd wie der Neffe. Doch auch Scharmbergs Haar ist weiß, im Februar hat er seinen 60. Geburtstag gefeiert. Mit der BVV will er bald Schluss machen, mit der Politik aber längst nicht: Scharmberg will nach der Wahl im September ins Abgeordnetenhaus.
Am 18. September wird in Berlin gewählt, und zwar nicht nur das Abgeordnetenhaus und damit der Senat, sondern auch in den zwölf Bezirken. Die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV), die vor allem die Aufgabe haben, das jeweilige Bezirksamt zu wählen und zu kontrollieren, bestehen aus je 55 Bezirksverordneten. Zu den Wahlen treten die etablierten Parteien an, in manchen Bezirken sind auch kleinere Parteien wie Die Grauen, die WASG oder die NPD in der BVV vertreten.
Ein Blick in die Berliner Bezirke lohnt, weil viele der Themen, die berlinweit diskutiert werden, an der Basis vor Ort konkret werden. Wie der Bezirk Lichtenberg mit Kulturpolitik sein Image aufpoliert, könnte andere Problemkieze anregen. Anwohner der Kieze in Charlottenburg initiieren Aktionen von unten. Und in Spandau geht es um die Auswirkungen der Gentrifizierung auf die Bezirkshaushalte.
Angefangen hat seine politische Arbeit vor gut 30 Jahren mit dem Kampf in einer Bürgerinitiative gegen die zunehmende Bebauung von Grün- und landwirtschaftlichen Nutzflächen im Süden Neuköllns. Damit habe er sich nicht bei jedem im Bezirk beliebt gemacht, sagt Scharmberg. Dafür wird er heute beim Samstagsfrühstück zwischen Ziegen und Pferden auf dem Milchhof Mendler am Landschaftspark Rudow, einem der letzten Bauernhöfe in Berlin, vom Bauern zum Geburtstagsfest der Tochter eingeladen.
Es dauert keine 15 Minuten, bis man im Gespräch mit Peter Scharmberg bei Kleintierzüchter- und Kleingärtnervereinen angelangt ist. Es macht ihm sichtlich Spaß, und es ist ihm ernst, deren "wichtige Funktion für den sozialen Zusammenhalt" zu betonen. "Das fehlt im Norden!" Trotzdem will der SPD-Mann nicht den traditionsbewusst-konservativen Stadtrandsozi geben. Der Norden, da kommt er ja selbst her, am Rande des Schillerkiezes "als Kind armer Leute" geboren, Grundschule, Hauptschule im Kiez als "schlechter und schlimmer Schüler", Feinmechanikerlehre und heute als Leiter der Mechanikwerkstatt am Institut für Chemie der Freien Universität Berlin immer noch Handwerker. Ein Arbeiter.
Es ist einfach so: Von hier unten, Alt-Rudow, sieht der Norden Neuköllns wie eine andere Welt aus. Während dort etwa jeder Dritte nichtdeutscher Staatsbürger ist, sind es von den 40.000 EinwohnerInnen Rudows schlappe 6 Prozent, von denen viele in den paar Sozialbauten leben, die am südlichen und nördlichen Rudower Dorfrand stehen. Erst seit wenigen Jahren beginnen auch Einwandererfamilien in die typischen Rudower Einfamilienhaussiedlungen zu ziehen. Oder Parzellen in den vielen Kleingartenanlagen zu pachten.
Auch beim Sommerfest der Kleingärtner sitzt Scharmberg an den wieder mit selbst gebackenem Kuchen gedeckten Tischen. Und zuckt etwas, als der Vereinsvorstand auf seine Frage, ob es denn auch "Menschen mit Migrationshintergrund" unter den Laubenpiepern gebe, schroff-berlinerisch antwortet: "Nee. Dit ham wa hier nich." Als es dann aus dem älteren Herrn herausbricht: "Ick kann dit nich mehr hörn: Migrationshinterjrund! Wat soll dit sein? Dit sind Deutsche wie du und icke!", ist der SPDler sichtlich erleichtert. Ihm ist wichtig, dass auch Rudow offen für Einwanderer ist.
Denn dass bei den vergangenen Berliner Wahlen zwei NPDler in die BVV Neukölln einzogen, liegt nicht zuletzt an Rudow. Bezirksweit bekamen die Rechtsextremen 3,9 Prozent, in Rudow 4,3. Der NPD-Kandidat für das Abgeordnetenhaus bekam im Rudower Wahlkreis sogar 4,8 Prozent. Das Sommerfest der SPD, das fast zwei Jahrzehnte an der heute als Nazitreffpunkt verschrienen Kreuzung Rudower Spinne gefeiert wurde, gibt es seit Jahren nicht mehr. Zu viel Polizeipräsenz sei nötig gewesen, erzählt Peter Scharmberg, als dass sich Familien mit Kindern noch wohlgefühlt hätten. Natürlich gehört er dem Bündnis "Rudower BürgerInnen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenhass" an.
Dass die Rudower sauer, gar neidisch auf den Norden seien, hört Scharmberg nicht gern. Ja, Schulleiter würden klagen, dass zu viel Geld an die Schulen im Norden gehe, während im Süden die Klotüren schief hingen. "Aber das stimmt nicht", sagt der Bezirksverordnete. Der Umbau der einstigen Schreckenshauptschule Rütli zum modernen Bildungscampus werde nur zum geringen Teil vom Bezirk finanziert. Die BVV und Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) achteten auf Gerechtigkeit. In der von Scharmberg herausgegebenen Ortsteilzeitung Rudower Panorama widerspricht Bezirksbürgermeister Buschkowsky der Annahme, "dass wir im Rathaus den Süden des Bezirks vernachlässigen". Doch die "Problemlagen im Norden" erforderten eben ein höheres Maß an Intervention als die im Süden.
Durch die Kleingartenkolonie zieht mittlerweile ein Spielmannszug, die Kleingärtner hinterher. Auf ihren T-Shirts steht, zu welcher Kolonie sie gehören. Der eingeborene Rudower weiß das auch so, man kennt sich. "Klar ist Rudow konservativ", sagt Scharmberg. An seine Chance auf einen Sitz im Abgeordnetenhaus glaubt er trotzdem. Nicht nur, weil auch ihn hier jeder kennt. "Wer tritt denn dieses Jahr für die CDU an?", fragt ihn einer der Kleingärtner. Als Scharmberg den Namen seines Konkurrenten nennt, sagt der Mann: "Nie jehört."
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