taz-Schwerpunkt zur Folter : Nicht mehr heimisch in der Welt
Anlässlich der Veröffentlichung des CIA-Folterreports berichtet die taz in ihrem Dossier zum Thema Folter.
Jean Améry, Überlebender des Holocaust, wurde als Festgenommener der nationalsozialistischen Besatzer in Belgien im zwischen Brüssel und Antwerpen gelegenen Fort Breendonk gefoltert. Sein Text „Tortur”, erschienen 1977 im Merkur, berichtet von der Zeit in diesem Gefängnis. Es ist ein Dokument eines Geschundenen, der nach der Folter nie mehr Vertrauen fasste in das, was man Welt nennt.
Am Ende seines kühlen, tieftraurig stimmenden Textes schreibt er: „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Dass der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht. Der gemartert wurde, ist waffenlos der Angst ausgeliefert. Sie ist es, die fürderhin über ihm das Szepter schwingt.”
Folter darf kein Mittel der Wahl sein
Dieser Text umfasste den Comment in westlichen Ländern. Eine Selbstverpflichtung gegen die barbarischen Traditionen, aus denen alle zivilisierten Rechtssysteme hervorgegangen sind. Amérys Auskünfte sind heutzutage aktueller denn je, denn auf die Werte, die der Anwendung von staatlicher Folter entgegenstehen, bilden sich alle viel ein, wenn es um ideelle Grundlagen des Westens geht. Gerade in den Zeiten nach 9/11, nach dem Terror in den USA und anderswo: dass Folter kein Mittel der Wahl ist und sein darf.
Auch Inhaftierte müssen sich darauf verlassen, dass sie sich auf das Rechtsstaatliche verlassen können. Folterer gegen Leiber und Leben im Angesicht der Gefangenschaft – das gab es immer nur anderswo. Iran, Saudi-Arabien, früher die Sowjetunion, das nationalsozialistische Deutschland.
Die Bilder aus US-amerikanischen Gefangenenlagern wie Abu Ghraib haben das Selbstbewusstsein des Westens tief erschüttert. Gefangene, die im Namen des Kampfs gegen den Terror gequält, gedemütigt und gebrochen wurden. Dass die Peiniger bei ihrem sadistischen Tun keine gesetzliche Deckung hatten, spielt keine Rolle. Sie wussten, wie inzwischen dokumentiert ist, dass ihre Handlungen nicht geahndet werden würden.
Dossier zum Thema Folter
Am 19. Januar sind in der taz acht Sonderseiten zum Thema Folter erschienen. Im Kern widmen diese sich dem kürzlich vom US-Senat publizierten Bericht zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA. Der am 9. Dezember 2014 vom Geheimdienstausschuss des US-Senats („United States Senate Select Committee on Intelligence”) veröffentlichte Report basiert auf über sechs Millionen interner CIA-Dokumente. Der Bericht konnte neulich veröffentlicht werden. Und musste es auch: Gegen die neue rechte Mehrheit im Senat wäre er nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt.
Von Wolfgang Neskovic, dem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof und früheren Bundestagsmitglied der Linkspartei, herausgegeben, wird dieser Report nun im Westend Verlag auf Deutsch publiziert – einschließlich eines Vorworts der US-Senatorin Dianne Feinstein, die sich wie keine sonst in der Kammer des US-Repräsentantenhauses für die Veröffentlichung dieses Berichts einsetzte. Flankiert wird diese besondere taz-Ausgabe von Interviews und Analysen – etwa auch zur deutschen Debatte über Folter, die vor zehn Jahren intensiv der Münchner Historiker Michael Wolfssohn und der Hamburger Philologe Jan Philipp Reemtsma führten.
Nicht zu missverstehen ist das Folter-Dossier mit irgendwelchen antiamerikanischen Allüren, gern in rechts- wie linkspopulistischen Milieus beheimatet. Die scharfe Erörterung dessen, was im CIA-Folterbericht zu lesen ist, dient dem vielleicht politisch Wichtigsten, nämlich nicht mit Regimen, in denen Folter von Gefangenen zur Grundlage der Sicherheitspolitik zählt, auf derselben Stufe zu verharren. Jean Améry, einer der wichtigsten Essayisten der Bundesrepublik, beging 1978 Selbstmord.
Jan Feddersen, 57, ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben