taz Gasto: Wer im Glashaus kocht

Aus dem taz café wird die taz kantine. Und auch ansonsten bleibt nicht alles beim Alten im neuen Erdgeschoss. Es gibt mehr Gerichte, mehr Platz für Veranstaltungen und Einkauf. Und alles wird schöner.

Bild: Yasu Kojima

Von Jörn Kabisch

Kann gut sein, dass hier auch einmal Franz Kafka an einem Tisch saß. Vielleicht bestellte er Grahamschmarrn oder Kohlsuppe mit Griesnockerln: Eben das, was Vegetarier Anfang des 20. Jahrhunderts gemeinhin auf der Karte fanden, wenn sie ein Restaurant besuchten, das fleischlose Kost anbot. In den vier Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, von 1910 bis 1914, nahm der Schriftsteller regelmäßig den Schnellzug Prag-Berlin.

Der magenkranke Kafka schwärmte von dem gastronomischen Angebot der Reichshauptstadt. Rund 150 vegetarische Gaststätten soll es damals in Berlin gegeben haben. Kein Fleisch, kein Alkohol – der Vegetarismus war eng mit der Lebensreform-Bewegung verbunden, die egalitär-naturistischen Ideen nachhing. „Es ist hier so vegetarisch, dass sogar das Trinkgeld verboten ist“, schrieb Kafka in einem Brief an seinen Freund Max Brod. Und er hob ein Etablissement in der Friedrichstraße hervor. Damals gab es dort zwei, eines in der Nummer 21, genau auf dem Grundstück, auf dem das neue taz-Haus steht. Verbrieft ist es also nicht, aber gut möglich, dass der Schriftsteller bei Clara Klinkisch einkehrte – oder wenigstens die Speisekarte im Fenster studierte.

Man muss sich Berlin am Vorabend des Ersten Weltkriegs sehr viel anders vorstellen als heutzutage. Es war damals die Stadt, die niemals schlief. Die U-Bahn war neu, 1912 zählte die Reichshauptstadt erstmals über zwei Millionen Einwohner. Die südliche Friedrichstraße war Amüsiermeile für die Größen der Filmbranche, für Künstler, Schauspieler und Literaten. Es gab Destillen, Wein- und Bierrestaurants, Tanzcafés und Varietélokale, deren Besuch Damen ohne männliche Begleitung dringend abgeraten wurde. Alles gruppierte sich um das Apollotheater, in dem Paul Lincke mit Operetten und Revuen Erfolge gefeiert hatte.

taz Wattstraße, Küche und Konferenzraum. Greg schält Kartoffeln für die taz Kantine 1989 Bild: Günter Zint

Kulinarische Geschichte

Das Berliner Adressbuch dieser Jahre gibt ein beredtes Abbild dieses Milieus. Wer in der Friedrichstraße 21, schräg gegenüber vom Apollo wohnte, hatte oft mit Film zu tun, sogar ein Büro namens „Paramount“ existierte. Auch ein paar Blumenhändler hatten hier ihre Adresse. Gleich benachbart war die Markthalle II, in der viele Floristen einkauften. Die Blumengroßmarkthalle sollte erst nach dem Krieg, 1922, entstehen.

Und dann taucht im Adressbuch auch immer wieder ein Name auf: „Clara Klinkisch, Vegetarische Gaststätte“. Doch leider, außer dieser kurzen Zeile, existiert keine Spur mehr. Wer war die Wirtin? Was schrieb sie auf ihre Speisekarten? Warum gab sie in den 1920er Jahren die Gaststätte offenbar auf? Dann verschwindet ihr Eintrag aus dem Adressbuch.

Es ist eine Vergangenheit, die nur Stoff für Mutmaßungen bietet – und zu wenig Anknüpfungspunkte für das neue Lokal, das nun rund hundert Jahre später wieder in die Friedrichstraße 21 einzieht.

Kantine ist Programm

Das taz café wechselt aus der Rudi-Dutschke-Straße in das Erdgeschoss des neuen taz-Hauses und heißt künftig taz Kantine. Der Name ist Programm. Denn Kantine, so hieß die selbstverwaltete Küche nicht nur an der ersten Wirkungsstätte in der Weddinger Wattstraße, auch im taz café brummt die Gastronomie vor allem in der Mittagszeit, wenn taz-Mitarbeitende, aber auch viele Angestellte aus den Büros der Umgebung zum Essen kommen.

Im Sekundentakt verlassen zwischen zwölf und zwei die Teller die Küche. „Suppe-Salat“, „Salat-Vegetarisch“ oder sogar „Salat-Fleischgericht-Nachspeise“. Das sind die Codes, die Stammgäste im taz café genauso beherrschen wie Bedienungen und Köche.

Das Mittagsgeschäft wird weiter der Schwerpunkt sein. Das neue Kreativquartier um die jüdische Akademie füllt sich, gleich um die Ecke ist die SPD-Parteizentrale, auch am neuen Standort ist Kundschaft da. Allerdings, das täglich wechselnde Quartett aus „Suppe–Salat–Hauptgericht–Dessert“ wird es im neuen Lokal nicht mehr geben. Küchenchef Jörn Heckert wird künftig mit einer Mischung aus Saison- und Wochenkarte arbeiten.

taz Café: taz-MitarbeiterInnen beim Mittagessen, Januar 2006 Bild: Wolfgang Borrs

Viel mehr Platz

Veranstaltungen, taz shop, die Gastronomie: all das drängte sich in der Rudi-Dutschke-Straße im Café. Im neuen taz-Haus sind diese Bereiche entzerrt worden. Wer das neue Gebäude betritt, sieht gleich rechts den Empfang, direkt vor sich einen offenen Würfel, durch den die Treppe nach oben in die Redaktion führt. Gleich daneben sitzt künftig der taz shop: ein Tresen, an der gegenüberliegenden Wand, ein bis zur Decke reichendes, zehn Meter langes Regal.

„Wir haben jetzt endlich Platz, viel mehr von unserem Sortiment auszustellen“, sagt Sigi Renner, die Leiterin des Verkaufs. Endlich könne man auch das Buchangebot, die meisten von RedakteurInnen und AutorInnen der Zeitung, so präsentieren, dass BesucherInnen sie in die Hand nehmen und zum Probelesen mit ins Café nehmen können.

Die Gastronomie nimmt das Erdgeschoss des ganzen linken Gebäudeteils ein, dahinter liegen noch zwei abtrennbare Veranstaltungsflächen. Künftig ist es möglich, dort Lesungen, Vorträge und Podiumsdiskussionen abzuhalten und trotzdem den normalen Restaurantbetrieb aufrecht zu erhalten. Es wird deshalb auch eine kleine Abendkarte geben, die Kantine wird bis 23 Uhr geöffnet sein. „Ich kenne keine vergleichbare Veranstaltungslocation in Berlin, die so eine Kombination von Gastronomie und Veranstaltungen haben wird“, sagt Markus Spohn, der für die Veranstaltungen im taz-Haus zuständig ist. Auch Technik ist vorhanden, für große Public-Viewing-Veranstaltungen genauso wie für internationale Konferenzen mit mobilen Dolmetscherkabinen. Was die Architektur des ganzen Hauses auszeichnet, sich den Wünschen der Menschen darin leicht anzupassen, ist auch im Erdgeschoss realisiert.

Leichtere Karte

Im Herz liegt hinter einer langen Glasfront die Küche. Die Köche können künftig über einen langen Tresen in den Gastraum blicken und werden auch gesehen. Für Jörn Heckert, 31, der vor einem halben Jahr den Herd in der taz übernommen hat, ist das nichts Unbekanntes. Er hat 15 Jahre Berufserfahrung, darunter in Hotels, namhaften Restaurants wie dem Berliner Grill Royal, zuletzt arbeitete er bei einem Veranstaltungs-Catering. Und er weiß auch, was ein gutes Mittagsangebot ausmacht. Zuallererst natürlich die Qualität der Gerichte. Aber zugleich haben die Gäste auch wenig Zeit. „Wir werden uns anstrengen, dass alle nach 30 Minuten glücklich aufstehen können“, sagt er.

Die Karte wird künftig leichter ausfallen als bisher. Alle drei Monate wird künftig die Saisonkarte wechseln, zusätzlich gibt es wöchentlich neue Gerichte. „Das sichert ein abwechslungsreiches Angebot, wie es die Gäste schon bisher von uns kennen“, sagt Peter Rohrmann, der für die Gastronomie zuständig ist.

Auch Vegetarier und Veganer werden auf ihre Kosten kommen. Gemüsegerichte werden einen festen Platz auf der Karte haben. Das kleine Erbe, das die Wirtin Clara Klinkisch hinterlassen hat, wird also nicht ignoriert. Doch ob es zum Beispiel auch Kohlsuppe mit Griesnockerln geben wird? Rohrmann lässt die Frage offen.

Erdgeschoss, Blick vom Veranstaltungsraum Richtung Caféüberhöhe Bild: Yasu Kojima