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Archiv-Artikel

tanztheater Liebesbegegnung trotziger Prinzen und selbstbewusster Schwäne

Ausgerechnet „Schwanensee“. Dieses Tanzvergnügen für Abonnement-Romantiker. Dieses angestaubte Ballettmärchen, in dem die Solistin zum schneeweißen Lockvogel mutiert, dem ein Jüngling hilflos hinterhertänzelt. Hat dieser Männertraum auf Zehenspitzen irgendetwas mit dem prosaischen Heute zu tun?

Anscheinend doch. Denn ausgerechnet „Schwanensee“ hat sich die „Absolute Beginner Company“, der Jugendclub der Bühnen Köln, als Vorlage einer neuen Produktion ausgesucht, die zur Zeit in der Schlosserei zu sehen ist. „Schwanensee – Boy meets Girl“ ist eine Collage aus Sprech- und Bewegungstheater, eine entmottete Weiterentwicklung von Tschaikowskys Klassiker. Ein Stück, das antiquierte Liebesphantasien wie schlaffe Heißluftballons zur Erde zurückholt, um sie mit neuem Treibstoff wieder aufsteigen zu lassen.

Bei Regisseurin Anja Kolacek wird der Ballett-Plot zum Ausgangspunkt einer Reise in die Befindlichkeit heutiger Jugendlicher. Ein halbwüchsiger Prinz soll in die Gesellschaft eingeführt werden, heiraten, sich etablieren. So will es die geliebt-gehasste Übermutter. Rebellisch und ängstlich zugleich flüchtet der Blaublut-Boy an einen Waldsee und trifft auf die Traumfrau – durch Zauberkraft gefangen im Schwanenkörper. Doch die Liebe bleibt Affäre, der schnell entflammte Prinz ist noch nicht reif für die Verantwortung, die eine Beziehung bedeutet, das Stück endet unentschieden.

Auf der Bühne der Schlosserei verkörpern je fünf Jugendliche den Prinz und die Schwänin. Im fliegenden Wechsel spielen sie Facetten und Möglichkeiten in der Liebesbegegnung, im Umgang mit der Mutter, im inneren Monolog. Kleinliche Geschlechtergrenzen werden dabei sehr selbstverständlich überschritten, nach außen sehen die Darsteller ohnehin wie geschlechtslose Klone aus, in ihren identischen schwarzen Tops, auf denen Imperative des Absoluten prangen: jetzt – nein – immer – niemals (Kostüme: Konrad Oktavian Knieling).

Es geht um die Kernfragen der Adoleszenz: Wie eine Identität finden, ohne sich vereinnahmen zu lassen? Wie sich abnabeln, ohne sich zu isolieren? Wie sich behaupten auf dem noch unbekannten Markt der Geschlechter, gegenüber Anforderungen von außen und den eigenen widersprüchlichen Gefühlen? Auf Profiniveau spielen die Jugendlichen trotzige Prinzen und selbstbewusste Schwäne, sprechen in nassforschen Wendungen und wirken doch beim choreografierten Liebesspiel wie Vögel, die gerade aus dem Ei schlüpfen.

Sie kann sich sehen lassen, diese Pubertätsshow zwischen sprachlicher Schärfe und Modern Dance. Ballettnostalgiker bleiben einfach zu Hause. Holger Möhlmann

„Schwanensee – Boy meets Girl“: Schlosserei, Krebsgasse 26. Dezember, 12., 18. und 19. Januar, jeweils 20 Uhr, Tel. 221/28 400,