tamtürktür – er ist ein wahrer türke (5):
von BJÖRN BLASCHKE
Arkalik basik zählte zu den ersten türkischen Begriffen, die ich dereinst lernte. Zunächst konnte ich mir diese Wörter gar nicht richtig merken, wahrscheinlich weil sie auf Deutsch nichts anderes bedeutet als „heruntergetretenes Fersenleder“. Wer jedoch weiß schon, was das ist – „heruntergetretenes Fersenleder“? Es ist der hintere lederne Teil des Schuhs, den man niedermachen muss, wenn man aus seinem Schuh, der an der Ferse geschlossen ist, eine Schlappe machen will.
In der Türkei ist „heruntergetretenes Fersenleder“ so viel kürzer als bei uns, weil er häufiger gebraucht wird: der muselmanische Türke soll fünf Mal täglich die Moschee besuchen – ohne Schuhe. Und damit er sich nicht ständig die Schnürsenkel auf- und zumachen muss, sondern sie bei Betreten des Gebetshauses gleich in die Ecke pfeffern kann, tritt er unmittelbar nach dem Kauf neuer Schuhe das Fersenleder nieder. Je weiter das arkalik basik ist – könnte man mithin sagen –, desto heftiger die Moscheenbesuche – oder der an den Fuß gelegte Glaube.
Besagte arkalik basik kamen mir wieder in den Sinn, als ich kürzlich von Ankara nach Diyarbakir reiste. Während des Fluges saß ein zivil gekleideter Mann neben mir, der seinem Haarschnitt nach jedoch Soldat war. Das allein wäre nicht bemerkenswert, da viele Soldaten in den Maschinen sitzen, die zwischen West- und Osttürkei pendeln. Nein, zwei Dinge machten den Mann interessant: Erstens blätterte er ganz unbekümmert in der Gebrauchsanweisung für seine neue Automatik. Die Waffe selbst hatte er zu meiner Beruhigung wie alle Reisenden, die bewaffnet in den Südosten der Türkei reisten, am Schalter „Waffen abgeben“ zurücklassen müssen, um sie nach der Landung wieder vom freundlichen Turkish-Airlines-Personal ausgehändigt zu bekommen.
Ob es seine Dienstwaffe war? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die Türken gelten generell als schießfreudig. Als eine ihrer Mannschaften irgendein Pokalspiel gewonnen hatte, sollen drei Leute erschossen worden sein. Sie hatten vom Balkon geguckt – und wurden angeblich von den Freudenschüssen erregter Fußballfans niedergestreckt. Im Südosten, wohin ich mit jenem Waffenfan neben mir auf dem Weg war, soll alles noch gefährlicher sein; nach Fußballspielen – aber auch sonst, da statt ordinären Pistolen auch Schnellfeuerwaffen ins Spiel kommen.
Das Zweite, was den Mann neben mir interessant machte, war eben, dass er zivile Kleidung trug – denn das erlaubte ihm, mit „heruntergetretenem Fersenleder“ zu reisen. Es war so interessant, weil es gleichsam irritierend war: In den Jahren, bevor die PKK 1999 einen Waffenstillstand verkündet hatte, waren relativ viele unerfahrene Soldaten gegen die kurdischen Guerilleros in die Berge geführt worden. Und obwohl ihnen wie allen Soldaten im ersten Militärdrill beigebracht worden war, dass, sobald sie nur auf dem Bauch liegen, ihre Hacken nicht in die Höhe ragen dürfen, wurden überdurchschnittlich vielen Soldaten die Füße zerschossen. Statt arkalik basik hieß es hier topuk delik – „zerlöcherte Fersen“.
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