Krieg in der Ukraine: Keine Hoffnung auf ein schnelles Ende
Das Ausreiseverbot für ukrainische Männer unter 22 Jahren wird nun aufgehoben. Das ist fair, denn ein Ende des Krieges ist nicht absehbar.

J unge ukrainische Männer bis 22 Jahre sollen künftig ohne Sondergenehmigung das Land verlassen dürfen. Das teilte die ukrainische Ministerpräsidentin Julija Swyrydenko am Dienstag auf dem Messengerdienst Telegram mit. Seit Beginn der russischen Großinvasion im Februar 2022 war das aufgrund des in der Ukraine herrschenden Kriegsrechts Männern zwischen 18 und 60 ohne entsprechende Genehmigung untersagt gewesen. Einberufen werden können zurzeit jedoch nur Männer zwischen 25 und 60 Jahren. Anfangs lag das Mindestalter bei 27 Jahren, wurde im April 2024 jedoch gesenkt.
Die Aufhebung des Ausreiseverbots für junge Männer in der Ukraine signalisiert, dass man ihre Wünsche ernst nimmt. Denn so können sie ohne großen bürokratischen Aufwand frei aus- und auch wieder einreisen.
Viele männliche Teenager haben das Land bisher vor ihrem 18. Geburtstag dauerhaft verlassen, weil sie oder ihre Eltern wollen, dass sie dem Kriegsdienst entgehen. Diese Personen fehlen der Ukraine, gerade in langfristiger Perspektive, in der man den weiteren Kriegsverlauf denken muss.
Präsident Selenskyj hatte zuvor am 12. August bei einem Treffen mit Teilnehmern des Ukrainischen Jugendforums gesagt, eine Lockerung des Ausreiseverbots würde vielen jungen Ukrainern dabei helfen, ihre Verbindung zum Land durch die größere Bewegungsfreiheit aufrechtzuerhalten.
Innenminister Ihor Klymenko schrieb auf Telegram, Ziel dieses Schrittes sei vor allem, jungen Ukrainern breitere Möglichkeiten für Ausbildung, Praktika und legale Beschäftigung im Ausland zu bieten. Die gesammelten Erfahrungen sollen sie anschließend zu Hause einbringen, so Klymenko. „Wir tun unser Bestes, damit die ukrainische Jugend Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und internationaler Erfahrung hat und gleichzeitig ein fester Bestandteil unseres Staates bleibt.“
Kein ernsthaftes Interesse an einem Frieden
Die Neuerung mag von außen merkwürdig wirken. Müsste man nicht umgekehrt das Einberufungsalter noch weiter senken, um die personellen Lücken zu schließen – im Idealfall auf 18 Jahre? Noch vergangenen Herbst hatten die USA unter Biden genau das gefordert. Das Durchschnittsalter in der ukrainischen Armee liegt aktuell wohl bei über 40 Jahren.
Selenskyj drängte jedoch stattdessen auf mehr US-Militärhilfe, da es primär an Ausrüstung für die bestehenden Truppen mangele. Zwar wurde ein spezielles Programm für junge Rekruten eingeführt, das ihnen eine Bonuszahlung und andere Vorteile wie subventionierte Hypotheken und eine kostenlose Hochschulbildung verschafft, wenn sie einen auf ein Jahr begrenzten Vertrag mit der Armee abschließen. Besonders viel Anklang fand diese Regelung für unter 25-Jährige jedoch nicht.
Tatsächlich wäre die Entscheidung, schon 18-Jährige zum Militärdienst zu verpflichten, in der Ukraine äußerst unpopulär. Allgemein herrscht die Meinung vor, dass junge Menschen erst einmal ihr Leben genießen sollten, ehe sie auf unbestimmte Zeit ins Militär gelangen und dort womöglich sterben. Und das ist fair, denn ein Ende des Krieges ist nicht absehbar.
In der Ukraine weiß man das. Während der Westen und speziell der US-Präsident Donald Trump sich immer wieder von Wladimir Putin mit seinen vermeintlichen diplomatischen Bemühungen an der Nase herumführen lassen, hat man in der Ukraine schon längst begriffen, dass der Kreml kein ernsthaftes Interesse an einem Frieden hat.
Um das zu ändern, müsste erst der Druck auf Russland steigen. Darauf, dass das passiert, hoffte man vielleicht noch zu Beginn von Trumps Präsidentschaft. Spätestens aber seit dem Eklat im Weißen Haus am 28. Februar, als Trump und sein Vize Vance Selenskyj vor laufenden Kameras demütigten, sind diese Hoffnungen passé.
Solidaritätsbekundungen reichen nicht aus
Würde man das Einberufungsalter weiter senken, würde das auch die ohnehin schon katastrophale demografische Lage der Ukraine weiter verschlechtern. Sie hat schon jetzt eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt – im Schnitt 0,9 Kinder pro Frau, im Vergleich zu rund 1,4 in der EU.
Derweil wirbt das Militär nun auch gezielt Frauen an und versucht, Lücken mit weiblichen Freiwilligen zu schließen. Inzwischen ist laut Angaben des Verteidigungsministeriums jeder fünfte Rekrut weiblich.
Während die Ukraine weiterhin Lösungen für das Personalproblem in der Armee finden muss, sollte der Westen endlich Einigkeit zeigen und seine militärische Unterstützung massiv hochfahren. Solidaritätsbekundungen reichen nicht aus – nur Entschlossenheit wird Putin an den Verhandlungstisch zwingen.
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