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Hashtag #skinnytok gesperrtSocial-Media-Plattform handelt zu spät

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Tiktok hat einen Hashtag gesperrt, unter dem gefährliche Tipps für Menschen mit Essstörung gesammelt sind. Der Schritt ist wichtig, kommt aber zu spät.

Tiktok reagiert nicht schnell genug auf gesundheitsgefährdende Trends aus der Plattform Foto: Christoph Soeder/dpa

T iktok ist gegen den Hashtag #skinnytok vorgegangen. Endlich. Unter diesem Begriff haben sich bis vor Kurzem Beiträge gesammelt, in denen es nicht darum ging, dünn zu sein, sondern vor allem: immer dünner zu werden, lebensbedrohlich dünn. Ein Hort voller Tipps für Menschen mit Essstörung, die nicht Hilfe beim Abnehmen bräuchten, sondern Hilfe beim Genesen.

„Du bist nicht allein“ steht jetzt dort, wo davor Videos mit Ratschlägen für herausstechende Hüftknochen zu sehen waren. Darunter wird auf „Ressourcen“ hingewiesen, die gegen die Krankheit helfen können. Dass TikTok so handelt, ist wichtig. Und viel zu spät.

Bereits Ende April, also einen Monat bevor TikTok aktiv geworden ist, haben mehrere EU-Staaten, darunter Frankreich und Belgien, bereits auf den Hashtag hingewiesen und gefordert, dass TikTok eingreift. Staaten sind keine Gebilde, die für ihre Schnelligkeit in Onlineangelegenheiten bekannt sind. Und trotzdem schaffte es TikTok, erst mal nichts zu machen. Stattdessen hatte TikTok faul argumentiert, dass Menschen, die nach „Anorexie“ suchen, ja bereits an Beratungsstellen verwiesen würden.

Tatsächlich kann TikTok nicht alle Suchen, die zu schädlichen Inhalten führen, mit Warnhinweisen versehen. Dafür ändert sich zu schnell, wie wir im Internet welche Worte benutzen, welche Umwege wir gehen, um doch zu unserem Ziel zu kommen. Die Menschen, die Beiträge mit dem Schlagwort „skinnytok“ erzeugt haben, werden derlei Beiträge auch weiterhin erzeugen. Nur eben mit einem anderen Schlagwort.

Auch andere Social-Media-Plattformen haben Probleme

Das betrifft nicht nur Menschen mit Essstörungen oder anderem selbstverletzenden Verhalten. Auch Kriminelle wechseln schnell die Begriffe, um ihr Geschäft weiterführen zu können. Ebenso Ideolog*innen, die Menschen in Extremismus ködern wollen. Diese Praxis hilft aber auch Oppositionellen in repressiven Staaten und Menschen, die auf Social-Media-Plattformen sexuelle Aufklärung betreiben.

Trotzdem: TikTok hätte schneller handeln müssen, nicht nur bei #skinnytok. Auch andere Social-Media-Plattformen haben Probleme mit den sich schnell ändernden Begriffen, kommen nicht hinterher, bei potenziell problematische Suchanfragen auf Hilfsangebote zu verweisen – oder überschlagen sich, wie Instagram, das sogar die Suche nach dem Wort „skinny“ behindert. Als wäre das Thema an sich schon schädlich.

Ein Unternehmen, dessen Konzept darauf beruht, dass Menschen dort Zeit verbringen, weiß ganz genau, womit sie Zeit verbringen. Hashtags kommen und gehen, ebenso wie Trends. Doch wenn einer kommt, und das in einem sensiblen Bereich wie Gesundheit, dann muss er genauer überprüft werden. Nicht, um den Erfahrungsaustausch von Betroffenen zu zensieren, ihnen die Hilfe der Community bei der Genesung zu erschweren. Sondern um Menschen zu schützen, die nach Hilfe suchen.

Erst Ende Mai veröffentlichte der Guar­­dian eine weitere Recherche, die kein gutes Licht auf den Umgang von TikTok mit Gesundheit warf. Sie nahmen die 100 erfolgreichsten TikToks unter dem Hashtag #mentalhealthtips und reichten sie weiter an Ex­per­t*in­nen aus den jeweiligen Gesundheitsgebieten, die zu dem Schluss kamen: 52 dieser Beiträge enthielten Falschinformationen.

Schädliche Fehlinformationen

TikTok war von der Recherche nicht begeistert und gab an, dass sie „pro­aktiv“ mit Ge­sund­heits­ex­per­t*in­nen der Weltgesundheitsorganisation und der NHS zusammenarbeiten würden, um vertrauenswürdige Informationen auf der Plattform zu fördern und 98 Prozent der schädlichen Fehlinformationen zu entfernen, bevor sie überhaupt gemeldet würden. Aber trotzdem ging offensichtlich einiges an Fehlinformationen durch.

Durchgegangen ist TikTok, dass auch andere Suchanfragen vielleicht zu Hilfsangeboten führen sollten. Bei einigen, die darauf schließen, dass Menschen gerade vielleicht Hilfe bräuchten wie „Depression“, oder die zu Themen führen, bei denen besonders viele Fehlinformationen verbreitet werden, etwa bei „ADHS“ und „bipolar“, wird bereits auf Hilfsangebote verwiesen und auf die Seite des Gesundheitsministeriums verwiesen. Bei anderen fehlt das noch, etwa bei „Burnout“.

Auch hier müssen Social-Media-Plattformen handeln. Wie bei vielen weiteren Begriffen, nach denen Menschen suchen, die Hilfe brauchen.

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Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
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1 Kommentar

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  • Ein gutes Beispiel, um das allgemein zu durchdenken.



    Zunächst einmal finde ich es gut, wenn solche zerstörerischen Ratschläge weniger öffentlich sind. Und vermutlich sind sich in diesem Fall viele einig.



    Nur: Wer entscheidet, was schädlich ist?



    Darüber gibt es, bei anderen Themen, bekanntlich kontroverse Meinungen.



    Noch viel wichtiger: Wer entscheidet, was eine "Falschinformation" ist? Das Wahrheitsministerium?



    Ein Nebeneffekt dieser Fragen ist, dass die Plattformen es gar nicht richtig machen können (selbst wenn sie wollten).



    Wäre TikTok eine Art Zeitung, in der alle Beiträge zumindest potentiell moderiert werden, ggf. auch nachträglich, wäre der Vorgang völlig normal und der Vorwurf "zu langsam" durchaus anzubringen.



    TikTok ist jedoch keine Zeitung, sondern nur ein Kommunikationsmittel. Menschen verbreiten dort ihre Meinung.

    Die Meinung, ist gefährlich - aber zulässig. Wo ist die Grenze, welche Meinungen unterdrückt werden dürfen?

    Was, wenn eine Regierung meint, kritische Äußerungen gegen das eigene Militär seien gefährlich? Oder religiöse Toleranz? Oder Atheismus?



    Natürlich ist das alles völlig realistisch. Wer das nicht auf dem Schirm hat, ebnet der Zensur den Boden.