talkshow: Über übertrieben viele Brücken musst du nicht gehen
Drei Feiertage, die auf einen Donnerstag fallen, ergeben drei Brückentage für Berlin im Mai. Wer sie nicht nutzt, hat oft die besseren Aussichten
Von Ambros Waibel
Drei Mai-Brückentage in Berlin! Deutschlands einzige Metropole, die ohnehin im Ruf steht, sich von den anderen, fleißigeren Bundesländern aushalten zu lassen, genießt gehäufelte freie Tage, sozusagen Brücken, die über die schon mal abwertend als „Wasserkopf“ bezeichnete Hauptstadt geschlagen werden, um im Bild zu bleiben.
In Wahrheit gehört das angeblich partywütige Berlin zu den mit gesetzlichen Feiertagen unterversorgten Bundesländern. Wenn die Heiligen Drei Könige Geschenke bringen, dürfen wir sie nicht abholen; an Fronleichnam können wir der Monstranz nur vom Bürofenster oder vom Baugerüst hinterherschauen; und auch am Reformationstag und an Allerheiligen malochen wir ganz altbacken und profan durch.
Das Grimm’sche Wörterbuch kennt den Brückentag als Phänomen nicht, die Brücke zwischen den Einträgen „Brückenstein“ und „Brückenthurm“ ist hier schlicht noch nicht da.
Der Brückentag darf somit als Phänomen der modernen Arbeitswelt gelten. Im Netz finden sich Brückentagerechner, und als Betriebsdummchen gilt schnell, wer diese Brücken nicht nutzt, um möglichst viel Urlaub herauszuschlagen, so wie eben auch Brücken einst über reißende Ströme geschlagen wurden. Ältere wie ich sangen in der Schule noch das Lied dazu vom Prinzen Eugen und der Eroberung Belgrads: „Er ließ schlagen einen Brukken, daß man kunt’ hinüber ruckken“. Im Zuge der Zeitenwende mag das wieder angesagt werden.
Für Eltern, die sich nicht zu Jahresbeginn auf die Brückentage gestürzt haben, ist die Sache anstrengend. Kitas und Schulen bleiben mit unterschiedlichsten Begründungen an diesen Mai-Freitagen oft geschlossen, was dem Personal unbedingt gegönnt ist, die arbeitsverpflichteten Eltern aber coronazeitmäßig triggert.
Überhaupt scheinen die geballten Kurzferien oft eher zu Stress zu führen als zu Erholung. Es sind ja nicht nur die Kinder, die was Schönes unternehmen wollen, anstatt am auf der Tastatur tippenden Arm des Elternteils zu zerren.
An den Mittwochen vor den langen Brückenwochenenden bilden sich in den Berliner Biomärkten lange Schlangen von Menschen, deren brandenburgische Datschen auf Befüllung mit oft nur in Berlin erhältlichen brandenburgischen Premium-Lebensmitteln warten. Wer die Brückentagshysterie schwänzt, trifft dann am Freitag auf noch von der Erschöpfung gezeichnete Kassierer:innen, die aber dafür in den wunderbar leeren Geschäften Zeit für ein nettes Schwätzchen haben.
Freiheit und Platz erlangt der Mensch eben durch Verzicht. Das steht schon irgendwo bei Ernst Jünger, wo es noch für die Raucherwaggons galt, die immer überfüllt waren, während es bei den wenigen Nichtrauchern leer war. So ändern sich die Zeiten – zum Glück!
Und dann, wenn alle weg sind, hat man die große Stadt für sich! Nur die netten Touristen gondeln herum, auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten und Essbarem. Der Verkehr ist deutlich zurückgefahren, wer selber daran individualmotorisiert teilnehmen will, findet problemlos einen Parkplatz.
Und wie merkwürdig war es, sich auf einem Bänkchen in einem leeren Hauptstadtpark am 2. Mai ein Video anzusehen vom Ansturm der Brückentagstouristen auf das italienische Sirmione am Gardasee beziehungsweise davor: Denn 40 Minuten stand an, wer sich entschieden hatte, „die Brücke zu machen“, „fare il ponte“, wie es auf Italienisch heißt, um das Städtchen überhaupt betreten zu können.
Man muss eben nicht über jede Brücke gehen, die einem gebaut wird – und schon gar nicht über drei in einem Monat.
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