talkshow: Die männliche Identitätskrise
Mansplaining, Manspreading, #metoo: Männlichkeit ist in vielen Kreisen vor allem negativ konnotiert. Es gibt ein Vakuum an positiven Männlichkeitsidealen. Deswegen braucht es progressive Gegenentwürfe
Von Robert Schwerdtfeger
Bloß nicht noch mehr toxische Männlichkeit! So fiel das Medienecho erwartungsgemäß aus, nachdem Mark Zuckerberg vor zwei Wochen mehr „maskuline Energie“ und „ein bisschen mehr Aggressivität“ gefordert hatte. Die einseitigen Reaktionen darauf offenbaren vor allem, woran die Debatte über Männer seit vielen Jahren krankt.
Denn natürlich sind wir erst mal geneigt, „maskuline Energie“ als Gender-Esoterik und Mark Zuckerberg als reaktionären Tech-Boss abzutun. Wir sind geneigt, von #metoo und Gisèle Pelicot, von Incels und Andrew Tate zu reden und deshalb zu behaupten, dass ausgerechnet männliche Energie nun wirklich das Letzte sei, von dem es auf der Welt noch mehr bräuchte.
Statt unseren spontanen Neigungen nachzugeben, könnten wir uns aber auch ein paar Fragen stellen. Warum weckt „maskuline Energie“ gerade diese negativen Assoziationen? Warum wird das Wort „Männlichkeit“ in progressiven Kreisen ironisch und in Anführungszeichen oder aber in Kombination mit „toxisch“ verwendet? Warum lässt sich mit Mansplaining, Catcalling oder Manspreading männliches Fehlverhalten präzise bezeichnen, während immer weniger Richtlinien darüber zu existieren scheinen, wie man es als Mann richtig machen kann?
Das Vakuum an positiven Männlichkeitsidealen spiegelt eine Entwicklung, die als „masculinity crisis“ erst allmählich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt: Viele Männer suchen in den vermeintlichen Trümmern des Patriarchats nach sich selbst – und finden nichts. Schon gar nicht „maskuline Energie“. Sie fühlen sich nutzlos und überflüssig, einsam und desorientiert.
Dabei sind es nach wie vor meist Männer, die an der Spitze von Regierungen stehen. Es sind meist Männer, die in DAX-Vorständen sitzen. Es sind Männer, die für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen. Es gibt keine Machtumkehr im Verhältnis der Geschlechter. Aber: Es gibt eine tiefgreifende männliche Identitätskrise.
So verrät schon ein Blick auf den Arbeitsmarkt, dass das Gefühl der Nutzlosigkeit kein Produkt der Einbildung ist: Muskelkraft, oft assoziiert mit Männlichkeit, ist in Industrie und Landwirtschaft heute weitestgehend durch Maschinen ersetzt. Bergmann und Schlachter gelten mittlerweile in manchen Kreisen als exotische Berufe, während immer mehr Community-Manager und Servicekräfte gebraucht werden. Auch die traditionelle Rolle des Ernährers bröckelt. Immer mehr Frauen erreichen ökonomische Unabhängigkeit.
Die Zukunft der offenen Gesellschaft steht zur Wahl. Kommt nun eine Rückschrittskoalition, für die Migration wirklich die Mutter aller Probleme ist? Wird Gleichberechtigung wieder zu Gedöns? Wir berichten über den Kampf der Zivilgesellschaft für gleiche Rechte. Alle Texte zum Thema finden Sie hier:
Anders gesagt: Das Lebensmodell des stumpfen Ehemanns, der trotzdem geliebt wird, solange er nur regelmäßig die Lohntüte nach Hause bringt, gehört (glücklicherweise) der Vergangenheit an. Wer heute als Mann nichts darüber hinaus anzubieten hat, findet erst gar keine Frau.
Angesichts der Tatsache, dass Männer jahrtausendelang Frauen unterdrückt haben, mag das Mitleid des ein oder anderen sich in Grenzen halten: Sollen die Männer eben schauen, wo sie bleiben! Man würde es sich allerdings entschieden zu leicht machen, wenn man glaubte, es wäre ein reines Männerproblem, dass ein positiver Männlichkeitsentwurf fehlt. Das Problem betrifft alle.
Denn während in progressiven Milieus vor allem kritisch über Männlichkeit gesprochen wird, hat man anderswo längst Sinnangebote für Männer parat: Manosphere-Influencer bilden ihre Follower zu frauenverachtenden „Alpha Males“ aus, und rechtsextreme Parteien buhlen erfolgreich um Männer, die statt vereinsamter Gamer lieber tapfere Soldaten der Festung Europa wären. „Echte Männer sind rechts – dann klappt’s auch mit der Freundin“, brachte AfD-Mann Maximilian Krah 2023 auf der Plattform Tiktok diesen Zusammenhang propagandistisch geschickt auf den Punkt.
Es ist höchste Zeit, dass Männer ein positives Männlichkeitsideal entwickeln. Eines, das nicht hinter den aktuellen Gender-Diskurs zurückfällt, aber nicht bei Ratlosigkeit und schlechtem Gewissen stehen bleibt.
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