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■ tageszeitungs - Roman, Teil IV:Stille Nächte auf Tahiti Albrecht Lampe:

Frau Horstkotte wurde durch Frau Bitterfeld-Höss vertreten, Erwin Schierhold mußte sie aus der Zentrale anfordern, weil seine eigene Mitarbeiterschaft Vertretungsregelungen nicht zuließ. Er spürte, wie die behagliche Geruhsamkeit des Wochenendes endgültig wich. Seine Unruhe steigerte sich noch, als Frau Bitterfeld-Höss ihm einen Beleg zurückbrachte, in dessen Namensfeld er „Horst- und Südfrüchte Import GmbH“ geschrieben hatte. Sie hielt ihm das Formular mit spitzen Fingern hin und verschwand wieder in der Kasse. Der unausgesprochene Satz „Na, wenn ich das in der Zentrale erzähle“, glitzerte in ihren Augenwinkeln.

Am frühen nachmittag rief Erwin Schierhold Ruth Horstkotte an. Sie meldete sich sofort, er glaubte in ihrer Stimme ein gewisses Vibrieren zu hören. Schierhold hatte ein feines Gespür für Zwischentöne, seine innere Bereitschaft vorausgesetzt. Sie erklärt ihre Abwesenheit mit Herzbeklemmungen, ja, es ginge schon besser, morgen wäre sie bestimmt wieder da, man solle sich keine Sorgen machen.

Allerdings habe sie da noch ein privates Problem, seit gestern. „Bitte sagen Sie jetzt nichts, Herr Schierhold“, flüsterte sie, „ich bin in großer Sorge!“ Ruth Horstkotte berichtete von ihrem Vater. Sie wolle ihn, Schierhold, auf keinen Fall mit ihren innerfamiliären Problemen belasten, aber ihr Vater bastle nun mal so gern. Diese Bohrmaschine, ein Werbegeschenk einer Bremer Tageszeitung, habe plötzlich unter Strom gestanden und ihr Vater liege mit einem schweren Schock im Krankenhaus. Wenn er nun auch noch dahinginge..., hier versagte ihr die Stimme und sie war so bestürzt, daß auch Herr Schierhold sich mehrfach räuspern mußte, um das Gespräch fortführen zu können. Mit etwas gezwungener Stimme empfahl er, nie derartige Werbegeschenke anzunehmen, die Zeitung sei im übrigen allein schon der Bildunterschriften wegen auch nicht so, wie man dieses erwarten könne. Es gäbe da noch eine andere Tageszeitung, da bekäme man nicht nur keine lebensgefährlichen Werbegeschenke, sondern vernünftigerweise überhaupt keine.

Als Frau Horstkotte hörte, daß Frau Bitterfeld-Höss sie vertrat, schien dieser Umstand ihre Genesung maßgeblich zu beschleunigen. Die Kollegin aus der Zentrale war bekannt für ihre Berichterstattung, die im wesentlichen aus angefangenen Sätzen und bedeutungsschwangeren Augenaufschlägen bestand.

Als Erwin Schierhold den Hörer auflegte, waren die Innenflächen seiner Hände schweißnaß, sein Blick ging allerdings nur scheinbar ins Unendliche, denn er endete in der hellen Sonne von Tahiti. Geblendet schloß er die Augen.

„Könnte ich trotzdem die Tagesabrechnung haben?“ Für das mit mäkeliger Mißgunst vorgebrachte „trotzdem“ hätte Schierhold seiner Ersatzkassiererin ohne weiteres ein Fünfmarkstück aus dem Bestand nehmen können. „Ja, ja“, murmelte er zerstreut und schob ihr die Papiere zu. Er nahm sich vor, Ruth Horstkotte zum Kaffee einzuladen und mit ihr in Ruhe z.B. über automatisierte Kontierungen und buchhalterische Abgrenzungsprobleme zum Jahresende zu sprechen. Mit der gebotenen Zurückhaltung in der Stimme sagte er abends zu Frau Bitterfeld-Höss, daß der Dobben sie morgen nicht mehr brauche.

In diesem Augenblick betrat Gabriele Horstmann die Filiale. Ihre elegante, anziehende Erscheinung wirkte auf besondere Weise deplaziert. Sie gehörte zu den Menschen, die aus ihrer näheren Umgebung ein magnetisches Kraftfeld werden lassen. In ihrer Anwesenheit kam das erbarmungswürdig unerotische Flair der Sparkassenniederlassung ganz zu sich selbst. Gabriele Horstmann benötigte für ihren Bummel durch das Ostertorviertel etwas Bargeld, wer immer auch ihre Schritte und Gedanken lenkte, die Filiale sollte nunmehr endgültig zum Ort schicksalhafter Begegnungen werden. Mit lässigem Schritt näherte sie sich Frau Bitterfeld-Höss, doch Schierhold begrüßte sie mit „Guten Tag, Frau Horstmann, sehen Sie, nun wird doch was draus!“ Gabriele Horstmann musterte den Mann erstaunt und ließ ihre graugrünen Augen über Schierholds Gesicht und seinen pfeffer-und-salz-farbenen Glencheck-Anzug wandern. Etwas ungesunde Gesichtsfarbe, dachte sie, hätte mal Sonne und frische Luft nötig.

„Kennen wir uns?“, fragte sie mit diesem rätselhaften Ton in der Stimme, der ihm schon aufgefallen war, als sie ihren Herkunftsort Bad Harzburg zur Abwehr etwaiger außerdienstlicher Näherungen ins Spiel gebracht hatte. Schierhold war froh, daß Frau Bitterfeld-Höss wieder in der Kasse war und die anderen Angestellten sich mit Papieren und Kunden beschäftigten.

„Natürlich“, entgegnete er und bekam schon wieder diese feuchten Hände, „Sie waren doch meine Schwester!“ Der glockenhelle Klang ihres Gelächters schlug eine rosarote Schneise in die Zahlenkolonnen des Tages. Ihr dezentes Parfüm erreichte Schierhold auf eindringliche Weise, er riß sich zusammen und führte sie zur Kasse. „hier ist heute nur Frau Bitterfeld-Höss“, sagte er, unsere Kassiererin Frau Horstkotte ist leider krank“. Er sprach ihren Namen so aus, als ob Kassiererin eher ein Glaubensbekenntnis und sie die Hohepriesterin dieses ehrwürdigen Gewerbes sei. „Bevor Sie uns wieder verlassen, klopfen Sie doch mal an meine Bürotür.“

Was Gabriele Horstmann tat. Sie vereinbarten, die abendlichen Einkäufe am Ziegenmarkt gemeinsam zu tätigen und dann ein „Kaltgetränk“ zu sich zu nehmen. In undeutlichen Situationen neigte Schierhold zu befremdlich wirkenden Präzisierungen.

Fortsetzung folgt

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