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szeneDie vier Dinosaurier vom Alex

Am Alexanderplatz in Berlin stehen seit einer fernen, fast vergessenen Zeit vier Dinosaurier auf roten Beinen. Sie bewegen sich nicht vom Fleck. Sie drehen sich, fixiert am Ort. Stark und machtvoll stehen sie da. Wenn ich mit der Straßenbahn vorbeikomme, sehe ich ihnen zu und denke an meine Oma.

Der Anblick der vier Dinosaurier aus Stahl hat etwas Melancholisches. Ihre Köpfe sind Kabinen, kleine, kalte, schaukelnde Konservendosen, die auf einen Platz blicken, den es so nicht mehr geben wird, wenn sie einmal verschwunden sind. Drinnen sitzen Männer in Warnwesten. Stoisch bringen sie die Macht der Maschinen in Bewegung. Sie formen, schleppen, wuchten und verändern das Gesicht des Herzens der Stadt. Bauphase für Bauphase. Der Platz, der nie richtig wusste, was er sein wollte, kriegt ein paar hohe Häuser mehr, ein Stück Himmel weniger. Unermüdlich arbeiten die vier dressierten Dinosaurier. Sie wenden ihre Hälse nach dieser fernen, fast vergessenen Zeit, in der kurz hinter dem Alexanderplatz, die Schönhauser hoch, noch Wälder standen. Oder als der Fernsehturm als Wegmarke noch frei nach oben ragte, wie ein Versprechen von Zuhause.

Manchmal steige ich aus und gehe eine Runde um den Brunnen der Völkerfreundschaft herum, im Slalom um die Menschen. Ich schaue nach oben und denke: Die vier Dinosaurier können ja nichts dafür, dass sie hier leere Klötze hochziehen müssen. Sie tun, was ihnen ein Mensch befiehlt, der, im Zweifel schlecht bezahlt, die Hebel schiebt. Vielleicht hört er dabei im Radio, wie sich die Stadt verschönern wird. Und genau weiß, wie wenig davon stimmt. Und wenn, in einer fernen, bald auch schon vergessenen Zeit, alles fertig ist, werde ich mit der Straßenbahn auf den Platz zufahren und den Fernsehturm nicht mehr sehen können. Wie soll ich das dann meiner Oma erklären? Klaus Esterluss

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