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szeneIm blauen Flatterhemd

Kreuzberg, Kneipe, abends kurz vor sieben. Ich habe einen Bärenhunger. Wo bleibt mein Essen? Gar nicht viele Gäste hier, doch nach zwanzig Minuten hat nicht einmal mein Getränk zu mir gefunden, stelle ich verwundert zwischen den Zeilen fest, die ich in ein kleines Heft schreibe. Ich frage am Tresen nach, ein Mal, zwei Mal. Kommt gleich, heißt es. Als auch nach dem dritten Mal nichts geschieht, ruf ich mit schon ziemlich grenzwertiger Laune, was ist denn los hier? Der schlaksige, schwarz und schwarz gekleidete Barmann zuckt aufs Geratewohl die Schultern.

Plötzlich steht noch ein anderer, fast zierlicher Gast neben mir. Seit’ner Stunde haste dein Tresen nich verlassen, biste hier anjekettet?, faucht er. Kommt ja gleich, sorry, flötet der Barmann. Aber hoppi galoppi!, schickt der Zierliche nach. Doch der Barmann spielt erst mal mit seinem Handy. Telefoniert. Okay, sag ich, lass mal, hab jetzt keine Lust mehr auf Essen. Geht nicht, schon bonniert, ruft er mir vom Handy aus zu. Deins auch. Deutet auf meinen Nachbarn. Ich will auch nix mehr, sagt dieser, euren Fraß könnt ihr gerne behalten. Der Barmann legt sein Handy beiseite. Dann wird’s laut, ein Wort gibt das andere.

Plötzlich öffnet sich die Pendeltür und der Koch steht mit einem Fleischermesser da. Von der Durchreiche aus hatte er das Wortgefecht verfolgt, baut sich nun mit wildem Gesichtsausdruck vor dem eigentlich gar nicht so Zierlichen auf. Der bleibt unbeeindruckt stehen, im blauen Flatterhemd und leichten Hosen. Der wird doch jetzt nicht –, denk ich. Richtig. Er lächelt nur milde. Wie der letzte, still herabfallende Stern eines zuvor donnernden Feuerwerks, atemberaubend schön, lächelt er nur und schüttelt dabei leicht seinen Lockenschopf, greift in seine Hosentasche – und verlässt Jojo spielend den Laden. Ich auch. Messermann, Essen, Krawall: vergessen.

Felix Primus

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