sydney-syndrom: THORSTEN PILZ über olympische Mythen und Mysterien
Genpool verschüttet
Natürlich wird dieser Tage häufig der Mythos Olympia beschworen: der Traum vom fairen, egalitären Nebeneinander, der Macht eines sauberen Sports.
Nun ist das ja alles Quatsch, wie wir wissen: Gleich ist nicht gleich gleich, auch wenn nun Krethi und Plethi wissen, wo Äquatorialguinea liegt. Und so sauber soll es ja auch bei diesen Spielen nicht zugehen.
Dass Sport viel mit Biologie (und Chemie) zu tun hat, ist mittlerweile auch der Bild-Zeitung aufgefallen und die weiß die Lösung für die ihrer (unserer aller) Meinung eher dürftige Medaillen-Ausbeute: Uns Deutschen hat man übel in den Genpool gegriffen, das Sieger-Gen herausgegriffen und nun ist es eben nicht mehr da.
Tja, Pech gehabt. Und doch: Wider besseres Wissen fiebern wir mit jedem Athleten, glauben an die Weltfamilie des Sports, in der jeder seinen Platz hat, und interessieren uns plötzlich für die Magisterarbeit eines schwäbischen Degenfechters und die Frisuren einer polnischen Gewichtheberin. So funktionieren Mythen eben.
Ähnliches gilt auch für Mysterien. Eines der größten TV-Olympia-Mysterien sind die so genannten Olympia-Songs, mit denen ARD und ZDF ihre Übertragungen umrahmen. Was heißt denn Olympia-Song? Wie wird der ausgewählt? Bei einer Art „Grand Prix du Monde de la Chanson“? Man darf bezweifeln, dass es wenigstens hier gerecht zugeht. Wie dem auch sei, in diesem Jahr siegten bei der deutschen Vorentscheidung der ARD die „Magic Voices“.
Beim ZDF konnte man sich nicht recht entscheiden und ließ also U 2 und Heather Small Olympia-Songs jauchzen. Wobei – ob sie nun für Olympia, die Fernsehlotterie oder ein Damenklo singen, ist ein und dasselbe. Mit Olympia haben diese Liedchen nämlich herzlich wenig zu tun. Da war im Genpool der Verantwortlichen wohl auch so manches verschütt gegangen.
Fehlt also den ZDF-Songs jeglicher Bezug zu den fünf Ringen,gibt es den bei den „Magic Voices“ im Überfluss. Der Song „Australia“ kommt so marktschreierisch und hymnisch kalkuliert daher, dass man nur hofft, originär australische Musik möge auf keinen Fall so sein: Olympia-Musik vom Hamburger Reißbrett. Mit Magie hat das vermutlich weniger zu tun als mit Reibach.
Ein letztes Mysterium sei am Schluss erwähnt: Claus Lufen. Den ARD-Reporter, dem man beizeiten einmal stecken möge, dass Klagenfurt nicht zur Bundesrepublik gehört, schickte man an den Bondi Beach, wo er über Beach-Volleyball berichten durfte. Mit großen Augen erzählte er von der „Fun“-Sportart, von der „ausgelassenen Atmosphäre“ und den „total coolen“ Sportlern, die in ihrer Freizeit weitere „Fun“-Sportarten betreiben. So bleibt Olympia nicht nur für den Zuschauer ein Mythos, sondern eben auch für so manchen TV-Reporter – ein Mysterium.
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