strübel & passig: Das Ende der Affären
Ach, es ist noch gar nicht lange her, da sangen wir das Lied von der Demokratisierung der Medien. Das Internet, so dachten wir, werde Gleichheit schaffen, wo sonst Ungleichheit herrscht. McLuhan!, riefen wir euphorisch. Foucault! Und dieser andere Franzose da! Allein: Der Mensch wäre nicht der Mensch, brächte er es nicht binnen kürzester Zeit fertig, Hierarchien auch dort zu schaffen, wo keine vorgesehen sind.
So sollten sich AOL-Nutzer nichts vormachen. Sie stehen ganz unten, ihre Adresse ist ein schwärendes Stigma. Da hilft auch die Ausrede nichts, man sei Journalist und kriege das umsonst, oder die Tatsache, dass man Becker toll findet. Wer sich nicht schämt, bei AOL zu sein, der frisst auch kleine Kinder. Oder ist selbst eines, das sich aus der virtuellen Restmülltonne, auch bekannt als „50 Stunden gratis“-CD-ROM ernährt. Anders ist die Unfähigkeit eines auffällig großen Teils der Nutzer dieses Dienstes, sich auch nur im Ansatz an die Netiquette zu halten, kaum zu erklären. Sie scheinen vom „Das ist ja einfach“- und „Ich bin drin“-Rausch komplett überwältigt: Kaum sind sie online, erleiden sie koprolalische Anfälle, bringen spontan ganze Newsgroups gegen sich auf und scheinen auch sonst durch und durch untersozialisiert zu sein.[1]Sie merken nicht mal, dass sie nur noch am Katzentisch essen dürfen, weil sie zu viel kleckern – AOL ist der meistgebannte Provider der Welt.
Etwas erwachsener, aber kaum weniger unangenehm kommt das Image des T-Online-Users daher. Seit viele, die einst noch schworen, niemals zu T-Online zu gehen, mangels anständiger Alternativen T-DSL-Flat nutzen, ist die Schmähkultur in diesem Bereich allerdings weniger durchgängig: T-DSL-Flat-Nutzer, so hört man, seien lediglich resignierte Pragmatiker. Wirklich schlimm seien jedoch nach wie vor diejenigen, die dem rosa Riesen im Minutentakt ihr Geld in den Rachen werfen: Das sind die Fahrer mit Hut, die Besserwisser und Nachbarnverklager und die Besitzer von T-Aktien, die nun verzweifelt versuchen, den Börsenkurs anzukurbeln.[2]
Ich selbst habe lange Zeit alles in meiner Macht Stehende getan, um nicht in die Fänge der Mainstream-Provider zu geraten. Eine Spur der Verwüstung liegt hinter mir, denn sämtliche Kleinprovider, denen ich mich verschrieben hatte, gingen Pleite oder standen plötzlich vor den Trümmern ihres Flatrate-Angebots. Aber man wird älter. Eines Tages verstand ich, dass es Zeit wurde, dem Nomadentum ein Ende zu bereiten, dass ich mir einen Netzdienstleister suchen musste, der zumindest mit hohem Aufwand so tut, als sei er immer für mich da. Kurz: Ich wollte keine romantischen Affären mehr, ich wollte versorgt sein. Jetzt lebe ich meine Vernunftehe in den freudlosen Barios von Grande Magenta, ohne Aussicht auf Besserung, aber mit bezahlbarer Flatrate.
Alle ehrgeizigen Jungsoziologen fordere ich deshalb auf, schnellstmöglich herauszufinden, warum mein Provider in so vielen Undernet-Channels komplett gebannt ist – und Abhilfe zu schaffen. Das kann ja wohl nicht angehen! Schließlich bin ich nicht bei AOL. IRA STRÜBEL
[1] Liebe AOL-Nutzer, bitte folgen Sie nicht Ihrem spontanten Impuls, mir eine unhöfliche Beschimpfungsmail zu schicken.
[2] Liebe T-Online-User, bitte keine besserwisserische Leserpost. Widerlegen Sie mich durch Schweigen!
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