strübel & passig: Updated Hochdeutsch
Sprachwandel ist ein teuflisch Ding. Manche jungen Menschen schaffen es ja, dass man sich nach einem Satz aus ihrem Munde spontan wie neunzig fühlt. Bei anderen hat man den Eindruck, sie sprechen in Zungen. Und wieder andere reden erst gar nicht mit einem, weil man sie sowieso nicht versteht. Das ist dann aber normal und heißt Pubertät.
Man möchte also meinen, die Unfähigkeit, weiter beim jugendlichen Idiom mitzuhalten, sei die schmerzlichste Erfahrung von allen. Aber das stimmt nicht: Viel schlimmer ist es, wenn man dem eigenen Sprachwandel keinen Einhalt gebieten kann. Denn so einen Sprachwandel kann man sich überall zuziehen, wo man sich auch Pilze oder Viren holt, und hat man ihn erst einmal im Haus, ist bald Polen offen, ohne der EU beizutreten. Besonders schwere Verläufe finden sich oft bei Inhabern von Verkäuferaccounts bei Ebay. Als gäb's kein Morgen und auch keinen Duden, wird hier gehandelt und gewandelt, was das Zeug hält: Nirgendwo sonst erhält man so viel „TODs chicke“ (13 Ergebnisse) Kleidung oder ein „Super chickes“ (29) Sommerkleid. Jede Menge „supper“ (73) Sachen eben. Die Tragweite dieser kleinen Mutationen lässt sich vom Laien kaum abschätzen. Schließlich wächst mit der Häufigkeit des Auftretens eines Fehlers auch die Wahrscheinlichkeit, dass er zum Standard wird.
Die Gefahr, dass man bald sein eigenes Wort nicht mehr versteht, ist also nicht zu leugnen. Wie man hört, bereitet sich der Dudenverlag auf diese ihm aus dem Internet neu erwachsenden Herausforderungen schon heute intensiv vor. Zwölf Millionen Euro sollen in einen Präskriptionsbunker gesteckt worden sein, weitere Gelder wurden in eine inhaltsleere Experimentalwebsite investiert, mit der man erforschen will, warum das im eigenen Verlag erschienene Szenewörterbuch so wenig mit Szene zu tun hat und was es überhaupt mit diesem Internet auf sich hat, von dem man in letzter Zeit so viel hört.
Doch während in Villarriba noch geschrubbt wird, wird in Villabajo schon gefeiert: Der Internetspeak hat längst die Lebensräume selbst der biedersten Hausfrauen durchdrungen. Unlängst wurde ich etwa an der Kasse eines Supermarktes Zeugin, wie eine ältere Dame beim Kleingeldkramen das aufgebrachte Gemurmel der Schlange hinter ihr ganz lässig nach /dev/null routete. Und es kommt noch schlimmer: Auch vor dem Privatleben macht der Sprachwandel nicht Halt. Immer mehr meiner Geschlechtspartner erweisen sich bereits innerhalb der 30-Tage-Trial-Phase als sexuell inkompatibel. Empfiehlt man ihnen dann freundlich, doch einen Blick ins fucking manual zu werfen, kann es schon vorkommen, dass die Connection vom Peer resettet wird. Oft sind dann auch noch die Deinstallationsroutinen schlampig geschrieben und das Gefühlsleben muss mühsam rebootet werden. Und das alles nur wegen des Sprachwandels.
Gott sei Dank bin ich – obwohl mir all diese Dinge widerfahren – was das schreckliche Internetidiom angeht, bislang weitgehend offline geblieben. Um es einmal ganz klar zu sagen: Was solch neumodisch vernetztes Gewäsch angeht, ist bei mir absolut 404. By default drücke ich mich gewählt und in feinster Hochsprache aus. Und jetzt ist EOD, ja? IRA STRÜBEL
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