strübel & passig: Das Glück der eigenen Zensur
Bei ihrer Einführung schien die Webwasher-Software ein Gottesgeschenk. Endlich Schluss mit Bannern, die beharrlich dasjenige Produkt bewerben, das seinen Betrachter den zuvor ausspionierten Benutzerdaten gemäß am allerwenigsten interessiert. Wer mit dem leicht ausgebremsten Internetzugang leben konnte, wurde mit süßem Frieden in der rechten oberen Bildschirmecke belohnt.
Aus irgendeinem Grund scheint aber die Abschaffung des Werbung-kucken-Müssens – siehe DDR – mit einer Abschaffung anderer bürgerlicher Freiheiten einherzugehen. So bietet der von der in Bayern, auch so einer Art DDR, ansässigen Firma Siemens vertriebene Webwasher mittlerweile unter der Bezeichnung „Access Management – nicht relevante Inhalte blocken“ weitergehende Filtermöglichkeiten an: „Bestimmte Internet-Angebote haben im Unternehmen nichts zu suchen. Spiele, Sport und Sex zum Beispiel. Internet Access Management verhindert das Eindringen dieser Inhalte ins Unternehmensnetz – durch Blockieren der URLs.“ Schön zu wissen, dass es fürsorgliche Unternehmer gibt, die uns laut Webwashers Kriterienliste vor Themenbereichen wie „Architektur“, „Sachbuch“ und nicht zuletzt „Abtreibung“ beschützen wollen. Auch das gute alte Google hat seine Unschuld verloren und liefert Benutzern aus Deutschland nur noch vorgefilterte Suchergebnisse. Und unter www.fraude.de eröffnet sich gar in unheilvollem Pink die Schreckensvision eines porentief reinen Mädcheninternets unter der Top-Level-Domain .frau. Auch wenn es an sich löblich ist, dass Frauen in die bisher eher männerdominierte Welt des Fördergelderabgreifens für groben Unfug (in diesem Fall bei der Heinrich-Böll-Stiftung) vorzudringen scheinen, kann man nur hoffen, dass die technischen Ansätze zur Zensurumgehung in die Puschen kommen, bevor das ganze Internet auf die Größe eines sauber geschrubbten Provinzvorgärtleins zusammenschnurrt.
Auf meinem eigenen Rechner dagegen werde ich mit Freude ein stalinistisches Zensurregime errichten, sobald mir ein Hersteller erlaubt, nach den wirklich wichtigen Kriterien zu filtern. Kein Flash-Intro käme mir dann mehr ins Haus, keine Website mit „wir setzen Cookies ein, weil wir, äh, Gründe haben“, und auch keine, die mich mit dem jovialen Ratschlag begrüßt: „Gehen Sie doch erst mal einen Browser installieren, den wir gut finden.“ In meiner Welt gäbe es keine Unternehmen mehr, deren Webseiten „Neue Seite 1“ heißen, und nie wieder müsste ich auf „klicken Sie hier“ klicken.
Am liebsten wäre mir aber, wenn man bei der clientseitigen Filterung noch einen Schritt weitergehen könnte. Wie gern hätte ich frei konfigurierbare Wahrnehmungsfilter, mit deren Hilfe ich das, was mir nicht passt auf der Welt, komplett ausblenden könnte. Ähnlich wie der Patient von Oliver Sacks, der seine Frau mit einem Hut verwechselt und eine Blume als grünen Gegenstand mit roten Fortsätzen identifiziert, könnte ich die gefilterten Personen und Gegenstände zwar noch einwandfrei sehen, aber sie wären ohne Bedeutung für mich. Statt Kanzler Stoiber würde ich dann schlimmstenfalls einen weißhaarigen Mann erkennen und statt eines hart durchzensierten Internets nur eine Ansammlung bunter Bilder. Ach so, das gibt es sogar schon. Es heißt AOL.
KATHRIN PASSIG
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