strübel & passig: Wunde Schnittstellen
Ergonomie habe ich immer für eine Einrichtung für Lutscher und Sekretärinnen gehalten, und Sehnenscheidenentzündungen, Karpaltunnelsyndrome und Tennisellenbogen für Ausdrücke der Einigkeit zwischen Arbeitnehmer und Hausarzt darüber, dass das Arbeiten keine so gute Erfindung sei. Für Leute wie mich gibt es vermutlich eine spezielle Hölle, wo Unterteufel vorbeispazieren und munter fragen: „Na, habt ihr's auch schön warm?“ Dann fassen sie mit ihrer Klaue in den Kessel und sagen: „Also bitte, stellt euch mal nicht so an, da hab ich ja als Kleinkind wärmer gebadet.“
Als kleine Vorschau auf diese gut beheizte Zukunft verspüre ich seit geraumer Zeit so ein Zwicken im Ellenbogen, so ein Ziehen, ein dumpfes und unheilverheißendes Gefühl, einen Schmerz. Einen Schmerz, der schon nach wenigen Stunden der Computernutzung einsetzt und mich missmutig an jenen Tag zurückdenken lässt, an dem ich also zu meinen Eltern sprach: „Berufsunfähigkeitsversicherung? So lange ich nicht auf den Kopf falle, kann ich auch arbeiten.“ Denn ach, ich war jung und brauchte das Geld selbst. Dass der Körper seine eigenen Wege geht, ist ja nichts Neues: Seine Ansichten über Orgasmuszeitpunkt, zulässige Alkoholhöchstmenge und die therapeutische Wirksamkeit des Kratzens, wenn es juckt, führen schon in jungen Jahren zu milder Resignation. Wenn die Widerspenstigkeit allerdings mit dem Geldverdienen zu interferieren beginnt, dann muss man dem Körper mal ganz klar sagen, dass es so nicht geht. Dass er an dem Ast sägt, auf dem er sitzt und die Hand beißt, die ihn füttert. Dass mund- und fußgemalte Wandkalender nicht mehr so verkäuflich sind wie früher, dass wir in einem Boot sitzen, und dass einer von uns beiden besser mal kräftig rudern sollte. „Und zwar“, sage ich anklagend, „kleiner Tipp von Descartes, der Geist ist das nicht!“ Als sei der Weg vom Denken zum Aufschreiben nicht schon unter normalen Bedingungen weit und voller Tempo-30-Wohngebiete.
Nach Informationen zu kneifenden Schnittstellenkörperteilen braucht man im Netz nicht lange zu suchen. Unter dem Stichwort „Repetitive Strain Disorder“ treffen sich Legionen gebeutelter Computerkranker. Das mag so sinnvoll sein wie ein Treffen der Anonymen Alkoholiker im Blauen Affen zu Neukölln, aber wie heroisch erscheint selbst der kümmerlichste „me too“-Beitrag, wenn man erahnt, dass er in mehrstündiger Arbeit mit einem zwischen die Zähne geklemmten Bleistift getippt wurde. Fortschrittlichere Eingabemetaphern lassen leider auf sich warten. Fußmäuse und Diktiersoftware bringen nicht nur kaum Linderung, sondern auch den sozialen Abstieg im Großraumbüro mit sich. Und auch die Maussteuerung durch Gehirnwellen (www.sciam.com/1096issue/1096lusted.html) ist nichts für mich. Erstens können dann alle sehen, dass mein Gehirn den Großteil des Tages nur jene piepende Linie produziert, die in Krankenhausserien Hektik beim Personal auslöst. Zweitens wäre die direkte Umsetzung meiner Gedanken meinem Lebensunterhalt vermutlich noch weniger förderlich als der jetzige Zustand. Bis Fortschritte der Gentechnologie mir zu einem eleganten, seidigen Greifschwänzchen verhelfen, mit dem sich eine Eintastenmaus bedienen und der Kollegenneid erwecken lässt, muss ich eben die Zähne um den Bleistift zusammenbeißen. KATHRIN PASSIG
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