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Archiv-Artikel

streiks, müll etc. Was heißt hier Scheißstadt?

Berlin und Hamburg sind zwei ungleiche Schwestern: die eine ein gutmütiger Trampel mit herbem Charme, die andere eine blasierte Blondine mit eigenem Hafen. Die eine arm, die andere reich. Die eine starrt vor Schmutz, die andere kokettiert mit malerisch arrangiertem Designerabfall – wie zufällig verstreute Gemüsereste vor Läden, zwischen denen man portugiesische Vanilletörtchen isst.

Hamburg hasst ihre schmuddelige Schwester von ganzem Herzen. In einem Interview sagt Heinz Strunk: Berliner sind doof. Auf einer Party wettern die Gäste: Berlin ist eine Scheißstadt. Argumente: Fehlanzeige. Ich fühle mich willkommen, als Berliner hier in Hamburg. Immerhin bin ich eigens angereist, um die arrogante Zierpuppe einmal so richtig am Boden zu sehen. Sie soll an ihrem eigenen Müll ersticken – davon habe ich schon immer geträumt. Plärren soll sie, dass ihr der Rotz den Kaschmirrolli verklebt. Die ganze Stadt versinke momentan im Müll, hatte mir die Einheimische am Telefon versprochen. Doch bereits auf dem Weg vom Bahnhof durch die Fußgängerzone macht sich erste Enttäuschung breit: Wieso Müll? Keine Müllsäcke, kein Gestank, kein Chaos – nur hie und da Dreck auf den Gehwegen, und die Papierkörbe quellen ein bisschen über, kurz: In Hamburg streikt die Müllabfuhr – in Hamburg sieht es gerade mal aus wie in Berlin.

Dennoch ist auf besagter Party der angebliche Müll ein Hauptthema: Die Reeperbahn, Stolz der Hansestadt und armseligster Boulevard seit der Erfindung von Sex, Suff und Seefahrt, muss ja übel verdreckt sein. Auf dem Pinneberger Recyclinghof wiederum wird man mit einem Hamburger Kennzeichen sofort zurückgeschickt. Am Bodensee waren sie weniger schlau: Mehrere blaue Säcke wurden dort angenommen, gefüllt mit linksdrehenden Joghurtbechern und auf null gedrehten Vögeln. So verbinden findige Hanseaten die Abfallentsorgung gern mit einem Kurzurlaub, eine private Variante des Mülltourismus. Die beiden anderen Hauptthemen: Berlin ist eine Scheißstadt, und Berliner sind doof.

Am nächsten Morgen weckt uns vor dem Schlafzimmerfenster der Einheimischen ein fröhliches Piepen. Komische Vögel. Wir sehen genauer hin: Vögel eher nicht – die sind ja auch krankgeschrieben. Sondern Ratten, viele Ratten. Hamburg, ich freue mich! ULI HANNEMANN