piwik no script img

straight aus dem medienpark„Pleitene Drecksau“ Jürgen Laarmann hat wieder eine Frontpage draußen

Jürgen Laarmann hat wieder zugeschlagen. Unser Berlin Mitte Boy mit den vielen interessanten Gedanken, die pompöse Figur, die einen in Angst und Schrecken versetzen kann, der Mann mit den vielen blonden Locken, der Techno-Großmogul, der seine bürgerliche Existenz verspielt hat, die „pleitene Drecksau“, wie er sich selbst nennt. In vielen Läden in Mitte liegt wieder eines seiner Babys herum, eine neue JLFrontpage. Jetzt also nicht mehr nur im Internet und zur Love Parade wie in den letzten beiden Jahren – von nun an soll es alle zwei Monate eine neue Ausgabe geben.

Ob dieses neue Projekt zwischen „Nerd-Musikfachblättern, Prolo-Danceblättchen und ultrakonservativer Lifestylepresse“, wie es im Impressum heißt, eine Marktlücke finden wird, ob sich die Sehnsucht nach Regelmäßigkeit finanzieren lassen wird und warum derweil die Homepage abgeschaltet ist, man weiß es nicht, man kann es nur vermuten.

„Singen, Tanzen, Trinkgeld geben, Krieg vermeiden, Musik kaufen, besser aussehen: 2002 Goodbye Disaster!!!“ hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, die neue JLFrontpage, und „The 21st Century Sound Clash“. Aha, entnimmt man dem leicht verunsichert, irgendwas mit Jahresrückblick also. Und was steht also drin im Jahresrückblick?

Vor allem scheint es sich hier um das persönliche Tagebuch von Jürgen Laarmann zu handeln, der manischen Schreibmaschine in Wonderland – nur unter einem einzigen Artikel steht ein Autorname (Bastian Asdonk über E-Commerce). Und was hat er also so erlebt, der Jürgen Laarmann? Wie alle, die irgendwo irgendwas schreiben, hat auch Jürgen Laarmann seine Kriegserlebnisse aufgeschrieben: wie er sich anfühlte, der erste Anruf eines Freundes am 11. September. Und dass das Ende der Spaßgesellschaft auf sich warten lässt, schon allein wegen der vielen Bin-Laden-Witze im Internet.

Es gibt einen Reisebericht aus Tel Aviv im Oktober 2001, wo zum dritten Mal eine Love Parade stattfand, inklusive Interview mit Organisator Ilan Ronel. Informationsbilanz: Die Sicherheitsvorkehrungen waren akribisch, und die israelischen Mädchen hatten bessere Zähne. Ein weiterer Artikel befasst sich mit den Auswirkungen des 11. Septembers auf die Musikindustrie (Liederverbote, Benefizveranstaltungen, Publikumsrückgänge). Alles wie gehabt, ein anderer mit Berlin als der neuen Musikhauptstadt, alles wie gelesen.

Vielleicht liegt es an der Aura der Langeweile, die jeder Jahresrückblick verbreitet, sträubt er sich auch noch so sehr dagegen: Jürgen Laarmanns Wille zum Enzyklopädischen wirkt ermüdend. Allein zwölf Jahrescharts gibt es im Musikrückblick – wer soll sich da denn noch auskennen.

Natürlich gibt es nach wie vor viele lustige Wortschöpfungen, wie man sie von Jürgen Laarmann kennt und mag (die Dirtyfication des Popbusiness), eine durchaus sinnvolle Aufzählung verbotener Worte wie „Ich werde das mal eruieren“ und ein wirklich soziologisch wertvoller Ausschnitt aus seinem schon oft angekündigten, aber immer weiter verschobenen Buch „Eternal Rules of Nightlife“. Darin werden 13 verschiedene Tänzertypen analysiert: Vom Poser bis zum Loser sind hier wirklich alle vertreten, auch bei angestrengtem Nachdenken fällt einem keiner ein, der fehlt, selbst der oft beobachtete Abhotter und Sportsmann kommt vor, „den Strickpullover umgebunden, geht die Luzi ab“.

Im Impressum der neuen Ausgabe steht: „Die neue JLFrontpage ist ein Magazin für den erfahrenen Clubber. Wir verstehen uns als Medium für diejenigen, die die Facetten der Popkultur kennen und trotzdem lachen können.“

Die Idee, ein Magazin für in die Jahre Gekommene zu machen, ist prima, nur an der Ausführung hapert es trotzdem noch.

SUSANNE MESSMER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen