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strafplanet erde: erforschung der vorfreude

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Shit happens: Da ist es mir nämlich nun wie dem strebsamen Doktoranden ergangen, der jahrelang speziellste Details im Sexualverhalten des Genoms der drosophila simplex erforscht, beharrlich und aufopferungsvoll, versteht sich; endlich vorzeigbare, womöglich erstaunliche Ergebnisse hat – aber fünf Tage vor der Publikation seiner bahnbrechenden Studien erscheint in der maßgeblichen Fachzeitschrift eine Arbeit, die genau das restlos und unwiderlegbar beschreibt, womit er sich seinen akademischen Titel verdienen wollte. Na ja.

Na und? Für mein Langzeitforschungsprojekt habe ich zwar nie Fördergelder, noch nie ein Stipendium beantragt, aber davon hängt es auch nicht ab, wie ernsthaft man ein Phänomen, eine Problemstellung, eine Hypothese im somnambulen Selbstgespräch diskutiert. Man macht es doch um der Erkenntnis willen, dem Fortschritt zuliebe, des Lichts am Ende des Tunnels wegen, dessen Leuchten einen dann manchmal doch etwas beunruhigt, weil es auch ein entgegenkommender Zug sein könnte.

Mich zum Beispiel beschäftigen seit dem ca. siebten Lebensjahr – mit Unterbrechungen, doch, doch – zwei Kernsätze, Redensarten, Floskeln, deren immanenter Widerspruch mir unauflösbar schien und mich demzufolge in abgründiges Grübeln stürzte. Nun war ich dieser Tage überzeugt, eine plausible Auflösung gefunden zu haben, da erschien ein süddeutsches Streiflicht, das eine dieser Phrasen erörterte. Aber eben nur eine von beiden. Sei’s drum. Sie lautet: „Man soll immer aufhören, wenn’s am schönsten ist.“ Als ob sie im Grundgesetz oder wahlweise Glaubensbekenntnis stünde, hörte man sie regelmäßig, wenn die Familienfeier gerade richtig in Schwung kam, weil sich Onkel Arthur genug Schnappes hinter den Knorpel gepeitscht hatte, aber die Eltern wollten, dass man ab ins Bett verschwindet. Erziehungsberechtigte reden ja gerne mal blendenden Unsinn zusammen. Woher, fragte ich mich, woher soll ich wissen, wann es am schönsten war, wenn ich nicht bis zum Schluss geblieben bin? Phrase zwei geht so: „Vorfreude ist die schönste Freude.“

Man müsste demnach jedesmal mitten in der Vorfreude aufhören oder vielmehr exakt den selbstverständlich stecknadelkopfgroßen Punkt treffen, an dem die Vorfreude in Freude umschlägt. Das ist aber doch grundsätzlich ausgeschlossen, weil sonst die Vorfreude ihres Präfixes verlustig ginge bzw. nie eines benötigt hätte. Am Ende besteht der ganze Quatsch aus einem ewigen Vorspiel, und Schlag zwölf ist Schluss, nicht einmal ein Interruptus ist drin, denn dann geht es ja erst recht in die Hose, hö, hö.

Ich ziehe meine Wortmeldung und mich auf den Standpunkt zurück, dass die einzige akzeptable Antwort auf mein wirres Gefrage von Robert Mitchum stammt, der in „El Dorado“, vom permanenten Saufen etwas derangiert, aber gewillt, es auch mal ohne zu versuchen, zu seinem chronisch ratlosen Gehilfen sagt: „Keine Ahnung, Bull, ich kann nur sagen, ich hab keine Ahnung.“ Ausgerechnet muss der auch noch Bull heißen.

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