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von DIETRICH ZUR NEDDEN
„Diesmal kamen die Architektengattin und ich fast gleichzeitig“, behaupte nicht ich, sondern Harald Schmidt beginnt mit diesem Satz ein Buch, das erschienen ist, einige Jahre bevor er einer sich mittlerweile immer mehr zum Bildungsfernsehen im umfassenden Sinne wandelnden Spätshow seinen Namen gab. Schmidt hat damit die Latte für starke erste Sätze, um gleich noch Freud ins Spiel zu bringen, zweifellos ziemlich hoch gelegt.
Schmidts Buch heißt „Tränen im Aquarium“, und ich wollte wissen, ob Manès Sperbers Buch „Wie eine Träne im Ozean“ ähnlich packend beginnt. Immerhin ein Ziegel von einigen tausend Seiten, was übrigens ein Anglizismus sein soll – „some thousand pages“ – und nicht etwa bedeutet, dass das Buch mehrere tausend Seiten hat, sondern ungefähr tausend. Bei diesem Umfang wäre ein erster Satz, der wie ein Hammer einschlägt, die halbe Miete.
Vor etlichen Sommern habe ich das Buch gelesen, ich erinnere mich dunkel an einen „ungeheuer spannenden, handlungs- und figurenreichen Roman“ (Beschreibung bei Amazon), noch besser an Passagen über die stalinistischen Schauprozesse und jugoslawische Partisanen. Aber ausgerechnet jetzt, wenn es wichtig wäre, kann ich das Buch nicht im Regal entdecken, muss im Keller sein oder verliehen. In diesem Zusammenhang merke: Wenn dich jemand bittet, ihm ein Buch zu leihen, schenke es ihm der Einfachheit halber, wenn du willst, dann ist die Angelegenheit wenigstens erledigt.
Aber es sollte ja in diesen Tagen des Anfangs en gros und en detail (Frühling, Leipziger Buchmesse) um magnetisierende erste Sätze gehen, und in der Hinsicht ist Hans Tilkowski, 38-facher Torwart der Fußball-Nationalmannschaft, in seinem Buch „Keine Angst vor scharfen Schüssen“ ein respektabler Wurf gelungen: „Man darf ruhig darüber sprechen“, hebt er an und lässt es erst mal so stehen, denn es folgt gleich eine neue Zeile, mit der ich aber jetzt nicht rausrücken will, um die derzeit hier im Norden herrschende Verwirrung nicht noch zu forcieren. Auf den Dächern liegt Schnee, dennoch wird am kommenden Wochenende die Uhr auf Sommerzeit gestellt. Keine Plauderei in dieser Gegend also seit vierundzwanzig Stunden, die nicht aufs Wetter und seine, richtig: „Kapriolen“ zu sprechen kommt. Eher langweilig, deshalb noch rasch ein erster Satz aus der Zeitung von gestern: „Die Stadt hat in einem Misburger Naturschutzgebiet rund 3.000 Bäume gerodet, um Platz für seltene Pflanzen zu schaffen.“ Es müssten, hieß es, Uhu, Rohrweihe, Nachtigall Platz machen für Orchideen und Laichkraut. Ein Mann aus dem Umweltamt sagte, es seien zwar „ökologische Werte zerstört“ worden, doch der Ersatz sei „höherwertig“, die vertriebenen Vogelarten stünden in der „Ökohierarchie“ dahinter. Und jetzt alle: „Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle ...“ Nein, nein, falsch, der Schluss soll ja mit dem Anfang korrespondieren. Also hier ein Satz aus einer Schmidt-Show im kalten November 1999: „Das sage ich für alle Max-Weber-Fans unter den Sat.1-Zuschauern.“ Und wer ist Max-Weber-Fan und mit einer Architektin verheiratet? Ich.
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