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stimmungsmacheAbends beim Kanzler

Der Schröder, das ist ein ganz Anständiger. Der versteckt sich nicht einfach in seinem Protzbau. Hat er nicht einst selbst vorm Gitter des Bundeskanzleramts gestanden und kräftig rüttelnd Einlass begehrt? Hat er nicht vor kurzem erst über das Fehlen des Bürgerforums geklagt, das sein Kanzleramt so bürgerfern und volksfremd erscheinen lässt? Eben. Deshalb hat er seine Bürger gleich zum Fest geladen. Der Schröder lässt sein Volk doch nicht an den Gittern rütteln!

Er lässt es davor stehen. Hundertschaften und Grenzschutz sorgen dafür, dass nicht gerüttelt wird. Und um ganz sicher zu gehen, dass dem Hausherrn und seinen erlesenen Partygästen niemand auf die Pelle rückt, ist die Hauptbühne ganz weit hinten vorm Eingang des Kanzleramtes versteckt. Selbst diejenigen, die sich am Abend wie zu einem Popkonzert Stunden vor Beginn einen Platz direkt am Gitter vor der Bühne ergattern wollten, hatten daher Plätze, die sonst nur die Zuspätkommer abbekommen. Wer sich dann da so alles auf der Bühne tummelte, ließ sich bei einer Sichtweite von etwa 30 Metern allenfalls erahnen.

Oder pompös und überlebensgroß als Videoprojektion auf dem Kanzleramt verfolgen. Denn bei aller berechtigten Kritik am Baustil seines neuen Amtssitzes: Hat Schröder je bestritten, dass sein Kanzleramt nicht zum Anfassen, sondern zum Schauen und Staunen gebaut worden ist? Seit der Kanzler seinen Sitz in der Willy-Brandt-Straße bezogen hat, wird ihm klar geworden sein, dass er als König auch ein richtiges Schloss braucht. Denn ein Arbeiterkind, das sich bis an die Spitze eines Staates hochgearbeitet hat, ist einfach zu klein, um als Projektionsfläche für die Träume eines ganzen Landes herzuhalten.

Sein neues Kanzleramt ist das nicht. Es ist das perfekte Medium, um Deutschland und seine Regierenden größer erscheinen zu lassen, als jede Wirklichkeit es hergibt. Und das Volksfest am (nicht im) Bundeskanzleramt sollte es beweisen.

Tatsächlich wächst auf den Wänden des Kanzleramts alles über sich hinaus. Die deutsche Geschichte, die flimmernd vorbeirauscht und endlich einmal so bunt und fröhlich in Erinnerung bleibt. Der deutsche Fußballfan, der das eingeblendete 1:5-Debakel gegen England mit stolzer Brust und gemeinsam mit den Prinzen würdigt: „Das alles ist Deutschland, das alles sind wir. Wir leben und wir sterben hier.“

Und nicht zuletzt der große deutsche Wirtschaftskanzler, der DaimlerChrysler statt Mercedes-Benz als Sponsor dankt und damit Übernahmehoffnungen und den Glauben, dass Deutschland bald wieder einen gebührenden Platz in der Welt einnehmen wird, stärkt. Jetzt hat das Kanzleramt den Weißen Häusern in Amerika und Russland jedenfalls eines voraus. Es ist richtig schön bunt.

ARMIN BEBER

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