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stichwort Das Stammhaus der taz in Berlin hat einen berühmten Dachgarten. Unser Autor sorgt dafür, dass er wuchertHier spricht der Gärtner

von Helmut Höge

Im Berliner taz-Gebäude gibt es zwei (von vier) Balkons, auf denen Pflanzen stehen, zum Teil sind es von Floraphilen wieder aufzupäppelnde Zimmerpflanzen, die im Winter wieder in die Büros kommen, aber auch zwei Birken wachsen dort. Einige Leute in der taz „bewirtschaften“ ganze Schrebergärten, zudem gibt es ein paar Frauen, die quasi im Nebenfach Botanik studiert haben – und nicht nur alle Pflanzennamen kennen, was schon viel ist.

Ich bemühe mich, ihre gelegentlichen gärtnerischen Aktivitäten in der taz zu verdauern, unter anderem indem ich im Sommer täglich die Blumen und Sträucher auf dem Dachgarten und die im Cafégarten unten gieße sowie ein, zwei Mal in der Woche 14 große exotische Pflanzen im Konferenzsaal.

Die an diese Orte versetzten Lebewesen gehören allen und niemanden – und drohen deswegen zu verkümmern, indem sie zum Beispiel allzu selten oder zu oft gegossen werden. (Die gärtnerisch ambitioniertesten Frauen in der taz sind inzwischen zur Imkerei fortgeschritten. Es gibt einen noch weiteren Dachgarten neben zwei von der taz angemieteten Etagen eines Bürohauses in einer Seiten­strasse. Dort haben sie einen Bienengarten angelegt und mit Hilfe einer Lehrimkerin zwei Völker angesiedelt. Vor zwei Jahren ging ihnen ein Schwarm zwischen den Hochhäusern der Umgebung verloren.)

Den großen Topfpflanzen im Konferenzsaal macht gelegentlich die mangelhafte ökologische Achtsamkeit des taz-Redakteurkörpers zu schaffen, indem ihnen mit den Stühlen einige Blätter oder sogar ein ganzer Ast abkgeknickt wird: die berühmte Öko-Lücke zwischen Weltverbesserung und Wohllebe. Die größte Pflanze im Konferenzsaal, eine robuste Yuccapalme, lehnte ich, als sie anfing, krumm zu wachsen, an einen hohlen Pfeiler. Als die Redakteure auch im Konferenzsaal einen Inter­netempfang wünschten, wurde an diesem Pfeiler ein Rooter installiert. Nach etwa zwei Monaten waren drumherum alle Blätter der Yucca vertrocknet – innerlich verbrannt.

Etwas Ähnliches war meiner Nachbarin in Kreuzberg passiert: Als man drei Häuser weiter auf dem Dach einen Handy-Funkmast installierte, gingen sofort zwei ihrer vier Bienenvölker ein, deren Kästen auf dem Dach standen. Ebenso wie sie ihre restlichen Völker stellte ich auch die Yuccapalme weg von der Strahlenquelle.

Forscherdrang trieb mich dann jedoch, eine Birkenfeige (Ficus benjaminii) dort hinzustellen. Das war vor einem Jahr, bis jetzt haben die Mikrowellen sie seltsamerweise noch nicht sichtbar geschädigt.

Ebenfalls riesig war eine Birkenfeige mit lanzenartigen Blättern. Eine Biologielehrerin, die Schülerpraktikanten bei der taz betreute, nannte sie „Ficus lanzetti“, wobei sie warnend hinzufügte: „Die braucht nur wenig Wasser.“ Die Pflanze gehörte einer taz-Mitarbeiterin, die sie mitnahm, als sie die Firma wechselte. Weil ich das bedauerte, schnitt sie mir einen Zweig davon ab, den sie in eine mit Wasser gefüllte Colaflasche stellte.

Der Zweig trieb darin in kurzer Zeit so viele Wurzeln, dass ich ihn kaum noch durch den Flaschenhals bekam, als ich ihn einpflanzen wollte. Und dann wuchs er derart schnell, dass ich ihn mehrmals in der Woche goss, weil seine Erde im Topf schon wieder trocken war. Mitten im schönsten Sonnenschein vergilbten der Pflanze dennoch die Spitzen mehrerer Blätter. Auch die Frauen im gärtnerischen Kompetenzzentrum der taz waren ratlos. Ich gab dem angeblichen „Ficus lanzetti“ (angeblich, weil beim Googeln immer nur Fotos von einer sympathisch aussehenden Frau kommen) noch mehr Wasser.

Und dabei geschah etwas auch für die gärtnerisch Erfahrenen Seltsames: Die angegilbten Blätter wurden wieder grün. Ich schwör’s, obwohl ein solcher Schwur bei den Naturforschern natürlich nichts gilt.

Für die Blumen auf dem Dachgarten bedienen wir uns im taz-Shop, wo Sämereien in Tüten verkauft werden. Vieles wächst jedoch über die Jahre immer weiter: Jasmin, Hagebutte, Lavendel, Erdbeere, Wein, Efeu und einige andere Rankengewächse, für die Seile gespannt werden. Der Topinambur breitet sich unverschämterweise immer weiter über die Grasfläche aus. Ähnliches gilt für die Brennnesseln, die taz-Mitarbeiter, vor allem die mit kurzen Hosen, gerne vernichtet haben möchten. Aber dafür gebe ich mich nicht her. Eher säe ich laufend den Rasen neu ein, weil der seit dem Rauchverbot überbeansprucht wird, vor allem im Winter, wenn er nass ist und vermatscht. Auf dem Dachgarten stehen in großen Töpfen noch zwei Oleanderbüsche (Hundsgiftgewächse), sie kommen im Winter ins Treppenhaus. Anschließend sehen sie jedes Mal leicht erschöpft aus. In diesem Jahr haben sie erstmalig einige abgestorbene Astspitzen bekommen. Einen der Oleander benutzt ein Meisenpärchen zum An- und Abflug, es brütet nahebei in einem an der Wand hängenden Nistkasten (ebenfalls aus dem taz-Shop, wo der Doppelkasten „Spatzen-WG“ genannt wird).

Die Spatzen brüten aber im Wein an der Hauswand. Daneben fliegen täglich mindestens einmal zwei Amseln und zwei Nebelkrähen den Dachgarten an, letztere zum Trinken aus der Dachrinne, erstere, weil sie – zu unserer Überraschung – gelegentlich doch noch einen Regenwurm aus dem schütteren Rasen ziehen. Wobei ich es ihnen ständig schwerer mache, weil ich das Gras nicht kurz halte. Das Wachsen und Werden – durcheinander – schafft mir mehr Freude als die Herstellung eines optimalen Umfelds für die einzelnen Pflanzen – durch Ordnung und Eingriff.

Wir hatten ein paar Mal vorgezogene Nutzpflanzen ausgebracht, aber erstens verschatteten sie schon bald die Blumen in den Kästen dahinter und zweitens langweilte mich das ständige Gerede über deren Ernte: Kein Mensch interessierte sich für die Pflanzen selbst, während mich die Ernte nicht interessierte. Ich bin sowieso lieber Fleisch- als Pflanzenfresser.

In diesem Jahr hat zum Glück niemand irgendeine Nutzpflanze ausgebracht. Einem ungeschriebenen Kollektivgesetz zufolge muss der- oder diejenige sich dann auch um die anderen Pflanzen im Garten mitkümmern – mindestens den Rasensprenger anstellen, so lange er seine Nutzpflanzen betüddelt, und das auch am Samstag und Sonntag.

Eine Ausnahme bildet die Erdbeerstaude: Man weiß nicht mehr, wer sie gepflanzt hat, sie wächst aber auch so in jeder Vegetationsperiode munter weiter – über ihre „fadenförmigen Ausläufer“ (Wikipedia). Nur dass ihre fünf, sechs Beeren („Sammelnussfrüchte“ von den Botanikern genannt) schon bevor sie reif sind, von einem der vielen RaucherInnen gegessen werden.

Als unten der Cafégarten eingerichtet wurde, fehlte es zur Straße hin an Sträuchern für eine Schutzhecke. Wir legten dazu intern einen „taz-Hedge-Fonds“ auf – vor allem für Spatzen, die es gewohnt sind, sich gleich Heckenschützen auf die Kuchen- und Brotkrümel unter und auf den Tischen zu stürzen. Es kamen 200 Euro zusammen – das reichte für fünf Sträucher, von denen einige inzwischen blühen. Dann kamen zur Einfahrt hin noch drei große Blumenkübel. Diese ließen wir von der Firma „Hofgrün“ mit Blumen und Farn sowie mit einer Weide bepflanzen.

Nach einer Weile schuf diese Vegetation an drei Seiten des Cafégartens ein angenehm kühles „Mikroklima“ – ein Wort, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Leider wird diese Randflora nachts gelegentlich von schlecht Betrunkenen und sonstwie mit der Welt oder der taz Unzufriedenen in Mitleidenschaft gezogen, was die kleine Weide eine erheblichen Entwicklungsverzögerung „kostete“. Immerhin hat sie den letzten Hooligan-Angriff überlebt.

Man erkennt an diesem kurzen Tätigkeitsbericht bereits unschwer, dass ich mich langsam aber sicher zum (unbezahlten) Hilfsgärtner der taz entwickele. Der Grund ist: Als Autor einer Reihe über Tiere („Kleiner Brehm“ genannt) will ich, wenn ich schon kein Tier angemessen halten kann, wenigstens mit irgendwelchen Lebewesen praktisch zu tun haben. Am liebsten nur beobachten. „Das Problem bei Pflanzen war immer: Du willst Verhaltensforschung betreiben, aber wie soll das gehen, wenn es kein Verhalten zu beobachten gibt?“ klagte der Zellbiologe Anthony Trewavas. Ich klage eher umgekehrt, dass mir die Vegetation langsam über den Kopf wächst.

Helmut Höge, ist taz-Autor, Kolumnist und Essayist und arbeitet als Aushilfshausmeister der taz in Berlin. Er ist Herausgeber der Tierkunde-Reihe „Kleiner Brehm“, von der inzwischen der achte Band vorliegt: „Bienen“

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