starke gefühle: Politik, die nicht läuft, wird oft als Theater beschrieben. Unverschämtheit!
Ein Freund schickte mir neulich eine entrüstete E-Mail. „In letzter Zeit reden Politiker*innen dauernd davon, dass Theater etwas Negatives ist“, schimpfte er. Immer wieder höre oder lese er Schlagwörter wie „Schmierenkomödie“, „Schluss mit dem Theater“, „unwürdiges Schauspiel“. Er als Theatermensch finde diesen Wortschatz ganz furchtbar. Als Schauspielerin sehe ich das genauso. Erst vergangene Woche konnte man überall vom „Drama um die Kanzlerwahl“ lesen.
Das Verächtlichmachen der Schauspielkunst ist keineswegs eine Modeerscheinung. Theatermenschen zählten nie zum ehrbaren Bürgertum. Lange Zeit durften verstorbene Schauspieler*innen noch nicht mal ordentlich beerdigt werden. Dieses schlechte Image hat sich in die Sprache geschlichen und im Denken verankert. Und gerade in der Politik haben Theateranalogien eine lange Tradition.
Das kommt nicht von ungefähr. Politik findet in der Öffentlichkeit statt, vor Publikum. Sie lebt von Selbstdarstellung und Inszenierung. Im alten Griechenland wurden Volksversammlungen im Theater abgehalten. Das war die Geburtsstunde der Demokratie. Die antiken Philosophen beschäftigten sich bereits mit den Parallelen zwischen Theaterbühne und menschlicher Existenz, im Barock verstand man das weltliche Dasein als teatrum mundi, und Shakespeare ließ seinen Jacques in „As You Like It“ sagen: „All the world’s a stage, And all the men and women merely players.“ – „Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Männer und Frauen sind lediglich Schauspieler.“
Büchner, Hauptmann, Brecht, you name it. Politik und Theater, das ist – gerade in Deutschland – wie Marianne und Michael, Sandalen und Tennissocken, Söder und Foodporn: Es gehört zusammen. Nur logisch, dass Theaterbegriffe den Weg in unsere Alltagssprache gefunden haben, wenn wir seit jeher das Theater als Spiegel der Gesellschaft begreifen.
Die meisten von uns benutzen sie ganz selbstverständlich. Dein Kind wirft sich im Supermarkt plärrend auf den Boden? „Mach nicht so ein Theater!“ Germany’s next wannabe Topmodel hat heute leider kein Foto bekommen? „Jetzt gibt’s wieder ein Drama!“ Du hörst Papas Haustürschlüssel im Schloss knirschen, während du bis zu den Ellenbogen in der verbotenen Süßigkeitenschublade steckst? Schnell „ab durch die Mitte“! Und was „hinter den Kulissen“ von Gerhard und So-yeon Schröders Insta-Account stattfindet, möchte man lieber gar nicht wissen.
Wir alle inszenieren uns mehr oder weniger, sobald wir uns unter Menschen begeben. Niemand benimmt sich am Sparkassenschalter genauso wie unbeobachtet im heimischen Bad beim Fußnägelschneiden. Zum Glück. Gesellschaftlich festgelegte Codes gewährleisten ein funktionierendes Miteinander. Erwartbares gibt uns Halt und stiftet ein Gefühl von Verlässlichkeit und Zugehörigkeit. Tritt jemand aus der ihm zugewiesenen Rolle heraus, entsteht Unbehagen. Komödien spielen oft mit diesen Brüchen, etwa „Der Menschenfeind“ von Molière.
Doch was auf Bühne und Leinwand befreiendes Lachen auslöst, ruft im wahren Leben eher das Gegenteil hervor: Das Gleichgewicht gerät ins Wanken, Vertrauen bröckelt, ein Gefühl von Unsicherheit wächst. Das gilt in besonderem Maße für die Politik, deren Aufgabe es schließlich ist, unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Im Idealfall drängt sich uns als Bürger*innen die Inszenierung auf der politischen Bühne gar nicht als solche auf – wenn wir Politiker*innen als authentisch empfinden.
Begriffe wie „Schmierentheater“, „Knallchargen“ oder „Farce“ häufen sich stets in dem Moment, wo es unaufrichtig und undurchsichtig wird oder wo Tabus gebrochen werden. Diese Verunglimpfung, die mein Freund beklagt, gilt also im Grunde nicht dem Theater als solchem, sondern vielmehr der Art der Darbietung. Und nicht der Gebrauch dieser Wörter an sich macht uns ärgerlich, sondern der Kontext, in dem sie fallen. Niemand mag eine miese Inszenierung, auch nicht im Theater. Aber wenn korrupte Politiker vermeintlich gleichgestellt werden mit begabten Bühnenkünstlern, wird’s unverschämt.
Wenn wir etwas als „ganz großes Kino!“ bezeichnen, meinen wir das durchweg als Lob. Vielleicht kommen wir ja irgendwann dahin, dass auch „Was für ein Theater!“ als Auszeichnung verstanden wird.
Karen Suender
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