standbild: Maulschellenlos
Reich-Ranicki-Solo
(Dienstag, 22.15 Uhr, ZDF)
Wenn man lustig war beim Zappen, hatte man beim „Literarischen Quartett“ oft gedacht: Das soll also die Speerspitze des lesenden Bildungsbürgertums sein, interessant, aber warum sind die so giftig zueinander? Die sollten doch mit gutem Benehmen vorangehen.
Dann kam die schöne Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki, die den Literaturpapst als eigentlich einsamen, verletzlichen und verletzten Außenseiter zeigte, dann das viel kommentierte Zerwürfnis zwischen Reich-Ranicki und Sigrid Löffler, der beleidigende Erotikstreit. Nun also, nach mehr als einem halben Jahr Sendepause „Reich-Ranicki solo“ mit dem Untertitel „polemische Anmerkungen“. Der viel Gefürchtete startete lobend ins neue Format. Freundlich entschlossen warf er mit Blumen um sich vor hellblauem Hintergrund. Wen und wie er lobte, war wohl durchdacht. Zunächst eine Alfred-Kerr-Ausgabe mit Kritiken von 1918–33. Reich-Ranicki sagte, dass Kerr zugleich „unterhaltend und belehrend“ sei, aus der Kritik ein „Spektakel“ gemacht habe usw., und schien damit auch immer sich selbst zu meinen. Seine Günter-Grass-Kritik war ein Statement. Die letzten Grasse hatte er entschieden verrissen, der umstrittene „Krebsgang“ nun galt ihm als „eine große, erschütternde Erzählung“, bei deren Lektüre er geweint habe. Philip Roths neues Buch „der menschliche Makel“ war auch super und die Berichte, die Carl Zuckmayer Anfang der 40er-Jahre, wie Marcuse, für den amerikanischen Geheimdienst geschrieben hatte, „glänzende Prosa“. Erscheinen allerdings erst in ein paar Monaten. Macht ja nichts. Dann noch ein bisschen Thomas Mann, und dass dessen Bücher nach dem TV-Ding massenhaft verkauft wurden und das TV deshalb zu loben wäre. Die Autoren der ausgerufenen neuen literarischen Blüte waren alle in seinem Alter, und vielleicht war es allzu nahe liegend, dem redseligen Kritiker eine Solo-Show zu geben, weil, wenn einer ununterbrochen allein redet, ist es ja doch etwas anstrengend. Die knappe Sendezeit – halbe Stunde – ließ dem darunter leidenden Kritiker aber auch viel zu wenig Raum, irgendetwas auszuführen. Die dem Medium eigene Redundanz lässt sich nur durch mehr Zeit ausgleichen.
DETLEF KUHLBRODT
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