piwik no script img

standbildMorbide Osmose

„Flucht ins Leben“ (Montag, 22.20 Uhr, Arte)

Klaus und Erika Mann, das kreative Dreamteam der Mann-Familie, behaupteten gerne, Zwillinge zu sein. Aber Klaus war ein Jahr jünger als Erika. Die gleichen künstlerischen Interessen knüpften jedoch schon früh ein Band zwischen den beiden, das bis zu Klaus Manns Selbstmord halten sollte. Ihre Verbundenheit zeigte sich vor allem in der aufreibenden Suche nach einer eigenen Identität jenseits der literarischen und ästhetischen Übermacht der Verwandtschaft.

Sie trieben sich in der Theaterszene herum, probierten Drogen und GeschlechtspartnerInnen aus und kämpften gegen überkommene Moralvorstellungen und Faschismus. 1939 veröffentlichten sie im US-Exil das Buch „Escape to Life“, in dem sie die bekanntesten deutschen Exilliteraten porträtierten, um sie dem englischsprachigen Publikum näher zu bringen.

„Flucht ins Leben“ heißt auch das Dokudrama von Andrea Weiss und Wieland Speck, das im Vorfeld des Mann-Booms im vorletzten Jahr entstand und wie das Epos von Heinrich Breloer, Interviewsequenzen, Zeitdokumente und gespielte Szenen miteinander verbindet. Auch die inzwischen verstorbene Elisabeth Mann-Borghese kommt darin zu Wort und versteckt nur notdürftig die Schwierigkeiten, die sie mit den älteren Geschwistern gehabt haben mag: „Starke Persönlichkeiten haben ihre Schattenseiten.“

Weiss und Speck versuchen das Verhältnis der Geschwister im Spiegel von Klaus’ Romanen und Theaterstücken zu visualisieren. Von der „Flucht ins Leben“ ist allerdings wenig zu spüren. Ist die Beziehung zwischen Klaus und Erika doch eher eine Verfallsgeschichte, die von Todessehnsucht, Drogenabhängigkeit, gescheiterter Hoffnung und einer zunehmenden Distanz zueinander geprägt ist.

So bleibt das Dokudrama unspektakulär und fügt dem Bild der beiden Mann-Kinder nichts Neues hinzu. Außer vielleicht der Tatsache, dass morbide Fantasien im Hause Mann in einer Art geistiger Osmose am Ende auf fast alle Mitglieder überzugreifen schien. Erika kam über den Tod ihres Bruders nie hinweg: „Wie ich leben soll, weiß ich noch nicht, weiß nur, dass ich muss, waren wir doch Teile voneinander, so sehr, dass ich ohne ihn im Grunde nicht zu denken bin.“ JAN BRANDT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen