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special guest: niklaus meienberg Zunehmende Unrast der Fauna

Hier Befehl, dort Gehorsam – die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Tier ist erprobt. Nur diesen Sommer nicht

Ist es die Endzeit-stimmung, welcheunsre vierbeinigenund gefiederten Freunde zu solcherAllotria veranlasst?

Erschreckend, ja beklemmend ist es, in diesem Sommer mit ansehen zu müssen, wie die Tiere in allen Kontinenten zum Angriff übergehen und aus ihrem geregelten Wildwechsel oder Käfigdasein ausbrechen. Kein Tag ohne Hiobsbotschaft! Eine bedenkliche Unrast macht sich allenthalben breit.

Bei den kleinsten Strudeltierchen bzw. Bazillen namens phagocytae aerobicae (Aids-Erreger) wie auch bei erwachsenen Elefanten zeichnet sich eine gefährlich frontierende Haltung ab. Die Alarmzeichen, welche auf eine Erosion des gesunden Rechtsempfindens deuten, sind denn auch nicht mehr zu übersehen. In Schottland war sich ein Ochse nicht zu blöd, bei herannahendem Zug auf dem Bahntrassee zu verharren und dadurch ein Unglück mit 13 Toten hervorzurufen (Entgleisung!).

Im Nationalpark von Yellowstone in den Vereinigten Staaten, wo die Bären bisher als gezähmt gelten konnten, überfiel Meister Petz (9) eine friedliche Schläferin aus Basel, erwies ihr einen Bärendienst mit seinen schrecklichen Pranken. Die hoffnungsvolle Musikerin (25) wurde furchtbar zerfleischt!

In den Dolomiten wurde ein Deltasegler von einem Adler, der ihn für einen Adler hielt (Nebenbuhler!), auf 3.000 Meter ü. M. angegriffen und vom König der Lüfte beinahe zu Tode gehackt. Im Zoo von Frankfurt ringelte ein Elefant, der den Wärter ärgern wollte, seinen Rüssel ins Nachbarsgehege hinüber, öffnete dort mutwillig den Warmwasserhahn und ließ dergestalt zwei Rhinozerosse elend in ihrem Bassin verbrühen. Der Dickhäuter hatte sich wohl etwas besonders Originelles einfallen lassen wollen.

In der March, im Kanton Schwyz gelegen, sabotierte kürzlich ein Uhu, welcher noch im Tod den Igel, den er eben geschlagen hatte, in seinen Krallen hielt, für etliche Stunden die Stromversorgung, indem der Greifvogel tückisch in eine Hochspannungsleitung segelte.

In den Abruzzen sowie Piemont haben Hunde, die von ihren Besitzern ferienhalber ausgesetzt wurden, nicht etwa demütig den Schwanz eingezogen, sondern sich zusammengerottet, ihr Wolfsblut wieder entdeckt – Tausende sollen es bereits sein – und in diesem Sommer bereits die ersten Schafherden dezimiert. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie bald auch Menschen an den Kragen gehen.

Nimmt man dazu noch die Marder, welche vor allem im Raume Winterthur von ihrer traditionellen Hühnerkost auf Gumminahrung umgestellt haben, bzw. möglichst viele Gummibestandteile aus parkierten Autos herausfressen, was den Nagern zusehends zu behagen scheint, so bietet sich ein verwirrendes Bild. Durfte man es bisher als gesichert annehmen, dass spätestens im Gefolge der Aufklärung jede Spezies des Tierreichs als inventarisiert, domestiziert und kontrolliert gelten konnte, so wird man im Lichte der eben geschilderten Tatsachen neu über die Bücher gehen müssen.

Ist es die Endzeitstimmung, welche unsre vierbeinigen und gefiederten Freunde zu solcher Allotria veranlasst? Handelt es sich bei diesen Kapriolen um ein Abgrenzungsmanöver (offensive Defensive) gegenüber der stets expandierenden Welt des Menschen? Um neue Verwertungspraktiken? (Gummi, Menschenfleisch etc.)

Wenn man allerdings im Tierreich glauben sollte, in dieser unerhörten, jedem gesunden Rechtsempfinden hohnsprechenden Art und Weise eine Zwängerei ausüben zu können, so wird es dort ein unsanftes Erwachen geben. Mit der üblichen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Tier – hier Befehl, dort Gehorsam – sind bisher beide Teile gut gefahren. Es sei in diesem Zusammenhang einmal mehr an das ertragreiche Zusammenleben zwischen Büffel und weißem Mann in der nordamerikanischen Prärie erinnert. Bü.

Der Text erschien zuerst im August 1984 in der „WochenZeitung“ (WoZ), Zürich. Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Niklaus Meienberg: „Der wissenschaftliche Spazierstock“, Limmat Verlag, Zürich, 2. Aufl. 1985Fragen zu Tieren? kolumne@taz.de

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