spd-wahlchancen: Die kleinen Unterschiede
Nach Rudolf Scharpings Entlassung geschah etwas Ungewöhnliches. Von links bis rechts, von Bild bis zum Neuen Deutschland, war man sich einig: Dies war das Ende des Machers Gerhard Schröder. Der achte Minister ausgewechselt – aus, vorbei, entschieden. Die Sache ist gelaufen, die Kampa darf in Urlaub gehen.
kommentarvon STEFAN REINECKE
Nun ist es immer verdächtig, wenn alle felsenfest an das Gleiche glauben. Außerdem – war die Wahl nicht schon mal entschieden? Wer im Winter, vor Stoibers Nominierung, eine Niederlage von Schröder für möglich hielt, galt als ziemlich seltsam. Das Gleiche galt bis vor ein paar Wochen – nur umgekehrt. Seitdem hat die SPD in den Umfragen leicht, aber stetig aufgeholt. Ist dieser Trend nun vorbei – nur weil Scharping nicht mehr Minister ist?
Es gibt zwei Gründe, warum die Nachrufe auf Schröder verfrüht sein könnten. Der erste ist – Rudolf Scharping. Sein Fall liegt völlig anders als bei Lafontaine. Denn es gab Lafontaine-Wähler, die der SPD fehlen, aber es gibt keine Scharping-Wähler – im Gegenteil. Scharping repräsentiert keinen Flügel und keine sozialdemokratische Klientel. Pannen-Rudi repräsentierte immer mehr die eigene Unfähigkeit. Ohne Scharping steigen die Wahlchancen jeder Regierung.
Außerdem ist die Öffentlichkeit (also wir) notorisch vergesslich. Worum es in Scharpings PR-Affäre genau ging, das wird am 22. September nicht mehr viel zählen. So hat Schröder das Schlimmste verhindert: einen Wahlkampf mit einem affärenbelasteten Scharping, der unverständliche Erklärungen in Mikrofone stottert. Er hat, aus übler Lage, das Beste gemacht. Das war nicht elegant, aber rational.
Aller Götterdämmerungsmetaphorik zum Trotz: Die SPD hat die Wahl noch nicht verloren. Ihr könnte im Wahlkampf nutzen, was eigentlich beklagenswert ist – nämlich dass Schröder und Stoiber wirtschaftspolitisch auf einer Welle funken. Beide sind ein bisschen neoliberal und neigen zu Staatsinterventionen, wenn die dem Image nutzen. Mag sein, dass Schröders Macher-Image Dellen bekommen hat. Doch glauben nur ganz treue CSU-Seelen, dass Stoiber effektiv die Arbeitslosigkeit senken kann.
Für die SPD mag diese Verwechselbarkeit eine Chance sein. Wenn sie klug ist, betont sie fortan die „kleinen“ Unterschiede. Dort kann Rot-Grün ja, von der Homo-Ehe über den Atomausstieg bis zur Zuwanderung, etwas vorweisen und sich glaubhaft als liberale Alternative darstellen. Und auf diesem Terrain ist Stoiber angreifbar.
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