sparkur für berlin: Axt oder Skalpell?
6,3 Milliarden Euro Neuverschuldung. Fast 40 Milliarden Schulden insgesamt, in wenigen Jahren schon 60 Milliarden. Zu diesen Dimensionen passt kaum ein Adjektiv mehr: Sie sind nicht gefährlich oder bedrohlich, sondern nur noch absurd. Bei solchen Zahlen kann der Leser keine angenehmen Metaphern verlangen. Also: Die Hauptstadt ist krank. Berlin ist ein mit eitrigen Geschwüren bedeckter Körper.
Kommentar von ROBIN ALEXANDER
Der Patient, dessen Zustand sich seit 12 Jahren absehbar verschlechtert, wurde bisher von Quacksalbern und Kurpfuschern behandelt, die mit Puder und Salbe abdeckten, wofür sie keine Diagnose hatten. Eine Expertin konsultierte man nur kurz: Frau Dr. Fugmann-Heesings bitterer Medizin zog man Placebos vor. Das Geschwür wuchs sich zum lebensbedrohlichen Tumor aus.
Und jetzt ist eben der Chirurg da. Er heißt Thilo Sarrazin und hat in dieser Woche erstmals die Tasche mit dem Operationsbesteck aufgemacht. Der neue Finanzsenator plant Einschnitte am siechen Patienten: Polizei, Verwaltung, Hochschulen, Bauförderung, Kultur – Sarrazin geht an Körperteile Berlins, die bisher tabu waren.
Das forsche Auftreten Sarrazins weckt aber auch Zweifel: Er wird doch nicht statt mit dem Skalpell mit der Axt operieren wollen? Schlendrian und Überverwaltung gehören amputiert, aber kein krankes Fleisch sind Sozialleistungen und Gelder, um großstädtische Quartiere lebenswert zu erhalten, ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr und gute Schulen. Um die Krankheit Finanzdesaster zu besiegen, werden in Berlin viele bluten müssen. Alle nicht.
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