sonntag in bremen: „Gröpelingen ist dafür der beste Ort in Bremen“
Feuerspuren - internationales Erzählfestival, .Sonntag, 5.11. Lindenhofstraße 10-53. Bereits ausverkauft ist die Lange Nacht des Erzählens am Samstag im Lichthaus
taz: Frau Klein, was ist Erzählen für Sie?
Julia Klein: Gar nicht so leicht zu beantworten, die Frage! Vielleicht so: Erzählen ist das sprachliche und körperliche Vermitteln einer Geschichte oder einer Welt ohne Textvorlage.
Ist Ihnen dabei persönlich die Sprache oder die Geschichte wichtiger?
Zum Glück muss ich das nicht entscheiden. Es gehört für mich beides zusammen: Manche Geschichten sind ja sehr bekannt, und jede Erzählerin und jeder Erzähler interpretiert sie anders – und man ist darauf gespannt, wie sie erzählt wird. Aber wenn ich wählen müsste, würde ich wahrscheinlich dann doch die Geschichte wählen.
Warum?
Dort, wo es ein rein-artifizielles rezitatorisches Spiel mit Sprache wird, das selbst nichts zu sagen hat, spricht es mich nicht so sehr an. Und umgekehrt gibt es manchmal Leute, die haben vielleicht jetzt nicht die sprachliche Virtuosität, aber ihre eigene Geschichte ist so toll, dass man einfach nur gebannt zuhören muss, obwohl die gar nicht so ausgefuchst erzählen. Aber sie stehen halt komplett dahinter. Darauf kommt es an.
Die Feuerspuren wirken, weil so viele Geschichten zweisprachig und in fremden Sprachen erzählt werden, wie ein polyglottes Signal in einer eher einsprachig geprägten Kultur: Ist deshalb Gröpelingen der richtige Ort?
Absolut. Das ist dafür der beste Ort in Bremen. Was wir hier machen, wäre so in Schwachhausen nicht denkbar: Das Festival ist vor elf Jahren aus den Begegnungen im Stadtteil heraus entstanden, in dem es für jeden völlig normal ist, mit drei oder vier Sprachen am Tag zu hantieren. Mit diesem Sprachwechsel spielen wir bei dem Festival auch ganz bewusst, weil es ja sehr spannend zu sehen ist, wie anders Menschen in anderen Sprachen, in ihrer Muttersprache sprechen: Das ist tatsächlich ein wahrnehmbarer körperlicher Unterschied.
Julia Klein, Geschichtenhändlerin, ist künstlerische Leiterin der Feuerspuren, die sie vor elf Jahren initiiert hat.
Dazu passt auch Ihr diesjähriges Thema – Perspektiven?
Ja. Das Nebeneinander verschiedener Perspektiven, die Multiperspektivität ist momentan ein zentrales Thema im Stadtteil: Die Menschen, die hier aufeinandertreffen, haben sehr unterschiedliche Hintergründe, sehr unterschiedliche Geschichten: Die Neuankömmlinge, diejenigen, die nur vorübergehend hier wohnen wollen, und diejenigen, die schon in der dritten, vierten Generation oder viel länger hier leben.
Interview Benno Schirrmeister
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