so wird der monat, der wird (nr. 9/2000):
Hamburg, 2. 9.: In der 60. Minute des WM-Qualifikationsspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen Griechenland brechen beim Stand von 0:0 plötzlich alle Dämme. Als Bundestrainer Rudi Völler kurz aufsteht, um eine Anweisung aufs Spielfeld zu rufen, erheben sich die 60.000 Zuschauer wie ein Mann von ihren Plätzen und stimmen anhaltende „Ruuudi, Ruuudi“-Chöre an. Nach kurzem Zaudern fallen auch die Spieler beider Mannschaften ein. Der ratlose Schiedsrichter unterbricht zunächst das Spiel und erklärt es schließlich für beendet. Psychologen sprechen anschließend von einer fußballerischen Massenhysterie, wie sie bisher lediglich vereinzelt in schottischen Stadien beobachtet worden sei.
New York, 5. 9.: Überraschend taucht Tennisrentier Boris Becker im Teilnehmerfeld der US-Open auf. „Ein Klick, und ich war drin.“ Erst als er schon seinen Turniersieg feiert, müssen ihn nachts Internet-Spezialisten von seinem Bildschirm losreißen und ihm den Unterschied zwischen der Wirklichkeit und einem Nutella-Brot erklären. Becker will es nicht verstehen und fragt noch Wochen später seine Pfleger: „Bin ich etwa schon raus? Gegen wen?“
Clausthal-Zellerfeld, 10. 9.: Peinlicher Zwischenfall beim Sommer-Biathlon in Clausthal-Zellerfeld. Da die Veranstalter vergessen haben, der Harzer Forstbehörde Bescheid zu geben, kommt es zu einem längeren Feuergefecht einiger Förster mit den vermeintlichen Wilderern. Erst das Eingreifen des Bundesgrenzschutzes beendet die Feindseligkeiten, und der Wettkampf kann fort gesetzt werden. Es siegt Norwegen vor dem deutschen Team und den Förstern.
Aachen, 11. 9.: Eugen Hach, 39, Erfolgstrainer von Zweitligist Alemannia Aachen, wird nach dem überraschend zwischenfallfreien Spiel gegen den MSV Duisburg noch in der Nacht mit dem Fifa-Fair-Play-Orden in reinem Blattergold ausgezeichnet. Hach war entgegen eigener Aussage („Kann nichts garantieren“) zwei komplette Heimspiele nacheinander nicht auf den Platz gelaufen und hatte sich nur mehrfach an den eigenen Kopf gefasst. „Ein Denkmal der Fairness, ein Vorbild an Selbstkasteiung“, so Fifa-Chef Sepp Blatter gerührt.
Zürich, 13. 9.: Das Exekutivkomitee der Fifa beschließt überraschend und fast einstimmig, das abgebrochene Qualifikationsspiel von Hamburg mit 3:0 für Deutschland zu werten. Lediglich der Neuseeländer Charles Dempsey enthält sich der Stimme. Die Bekanntgabe der Entscheidung erfolgt auf einer Pressekonferenz, die jedoch im Tumult endet, als Fifa-Chef Sepp Blatter plötzlich unvermittelt beginnt, „Ruuuudi, Ruuudi“ zu skandieren und sämtliche Exekutivmitglieder (außer Dempsey) sowie die anwesenden Pressevertreter einfallen.
Sydney, 30. 9.: Am Abend vor der Schlussfeier entscheidet die IOC-Exekutive, dass die Olympischen Spiele komplett wiederholt werden müssen: „Zu wenig Zuschauer, zu geringe Einschaltquoten, falsche Gewinner, zu viele Verlierer“, heißt es offiziell. Dieter Baumann ist sauer: „Man will mir meine Goldmedaille rauben. Jetzt putz ich mir vorsätzlich die Zähne zweimal stündlich und starte aus Rache auch im Sprint und im Marathon.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen