piwik no script img

serben gegen serbenHEIMKEHR DER GEWALT

An Gewalt aus Belgrad haben wir uns seit 1991 gewöhnen müssen. Neu an der derzeitigen Orgie der Brutalität ist also nur, dass sie sich nicht gegen Slowenen, Kroaten, Bosnier oder Kosovaren richtet – sondern gegen die eigenen Leute.

Natürlich waren immer auch Serben unter den Opfern des serbisch-nationalistischen Regimes. Da sind die Oppositionellen, die schon seit Beginn der Karriere des exkommunistischen Funktionärs Slobodan Milošević unterdrückt, vertrieben und ermordet wurden. Nicht zufällig ließ „Slobo“ 1990 – ein Jahr vor Kriegsbeginn in Slowenien – zuerst in Belgrad die Panzer rollen. Des Weiteren sind da diejenigen kroatischen und bosnischen Serben, die sich gegen die Politik der „ethnischen Säuberung“ stellten. Und natürlich sind auch diejenigen Serben Opfer „ihres“ Regimes, die aufgrund der Kriegspolitik aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo vertrieben wurden.

Die ersten Opfer des serbischen Regimes waren also immer Serben – und so ist es nur folgerichtig, wenn der kleine Potentat in Belgrad am Ende seiner Karriere versucht, „sein“ ganzes Volk mit ins Grab zu nehmen. Die Macht dazu hat Milošević zweifelsohne. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Armee ihm die Treue verweigern oder gar seine Polizei sich den Vernichtungsfantasien ihres Schöpfers entgegenstellen sollte: Serbien ist heute voll von arbeitslosen Kriminellen, die sich nach den Zeiten zurücksehnen, als sie noch in Ruhe kroatische und bosnische Städte und Dörfer ausplündern konnten. Diese Leute haben keine Scheu, auch zu Hause im selben Stil weiterzumachen – vorausgesetzt, es lohnt sich, und „Slobo“, ihr Herr und Meister, lässt sie von der Leine. Belgrad und die anderen Städte Serbiens, die Küste Montenegros, der mehrheitlich muslimische Sandžak oder die traditionell reiche Wojwodina bieten fette Jagdgründe für erfahrene Hasardeure, Gelegenheitsmörder, Plünderer und andere Kriminelle.

Erstaunlich an der derzeitigen Eskalation der Gewalt ist somit höchstens, dass sich die Einschätzung, Milošević und Co. seien Nationalisten, so lange gehalten hat. Denn der hehre Serbo-Chauvinismus Belgrads war offensichtlich nie etwas anderes als eine schlechte Tarnung für Mord und Totschlag aus niederen, materiellen Motiven. Machterhalt um jeden Preis und Plünderungslust waren der Humus, auf dem die Gewalt, die seit 1991 in Exjugoslawien wütet, gewachsen ist. Jetzt ist sie heimgekehrt. RÜDIGER ROSSIG

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen