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schneeballschlachten

von JOACHIM SCHULZ

„Männer, seht mal hinaus!“, ruft Jurek, und schon blicken vier Augenpaare begeistert aus dem Fenster. Eben noch hatte man artig beisammengesessen und den Hausherrn für seinen Seehecht à la vizcaína gelobt. Die Espressokanne gurgelte, Rauchwaren wurden entzündet, und die Damen waren sich einig darüber, dass man baldmöglichst die Tafel beiseite räumen und sich zu den immer noch schwer angesagten Songs greiser kubanischer Musiker über den Teppichboden drehen solle.

Fürs Erste aber ist daran nicht mehr zu denken, da der männliche Teil der kleinen Gesellschaft den Raum aus unerfindlichen Gründen verlässt und lauthals jubelnd die Treppe hinuntertobt. Das heißt, die Gründe sind durchaus erfindlich, denn die Aufregung der Herren rührt daher, dass draußen in den letzten zwei Stunden unbemerkt ein paar Zentimeter Schnee gefallen sind und Männer auf dieses winterliche Naturprodukt stets mit Begeisterung reagieren: Schon haben Jurek und ich uns hinter den Mülltonnen verschanzt, schleudern Daniel und Leo die ersten Geschosse entgegen, und binnen kürzester Zeit tobt zwischen Holunderstrauch und Fahrradständer ein Scharmützel, dessen Schönheit allein darunter leidet, dass wir alle in puncto Zielgenauigkeit kolossale Nieten sind. Doch mehr als wettgemacht wird dieser Makel dadurch, dass Verrat und Loyalitätsbruch zu den hervorstechenden Eigenschaften unserer Feldschlacht gehören: Ohne dass Leo wüsste, wie ihm geschieht, stopft Daniel im plötzlich mit einem diabolischen Freudenschrei ein halbes Pfund Schnee in den Pullover, um anschließend zu uns überzulaufen. Kaum aber habe ich in Anbetracht unserer nunmehr zahlenmäßigen Überlegenheit dafür plädiert, zum Sturmangriff gegen Leo vorzugehen, hat Daniel einen Pakt mit Jurek geschlossen, so dass ich meinen Gefechtsstand wegen eines plötzlich einsetzenden Trommelfeuers überstürzt verlassen muss und verständlicherweise nicht zögere, mich mit Leo gegen diese Verbrecherbande zu verbünden.

Indessen scheinen in den Nachbarhäusern einige Menschen zu wohnen, die das Ende der „Tagesschau“ für den geeigneten Zeitpunkt halten, unter die Daunendecke zu krabbeln, denn schlagartig fliegen ein paar Fenster auf, aus denen „Ruhe!“ und „Unerhört!“ und „Störung der Nachtruhe!“ herausgerufen wird. Natürlich beantworten wir das umgehend mit einer Schneeballkanonade in Richtung der Fensterlöcher. Doch unsere unsichtbaren Gegner scheinen im kalten Krieg sehr genau gelernt zu haben, wie eine ordentliche Flexible-Response-Reaktion aussieht: So fliegen uns Sekunden später diverse Blumentöpfe, Flaschen und Briefbeschwerer um die Ohren, und wenn wir es vorziehen, unseren Kontrahenten dieses Bombardement nicht mit einer erneuten Schneeball-Attacke zu vergelten, sondern heimzukehren zu Espresso und kubanischer Musik, dann liegt das daran, dass wir solchen Blumentopfwerfern durchaus zutrauen, in ihren Besenkammern abgesägte Schrotflinten zu verwahren, die sie schon lange mal ausprobieren wollten.

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