rücktritt von klimmt: Fatales Signal im Rechtsstaat
Noch vor ein paar Tagen hätte Reinhard Klimmt zurücktreten sollen – gestern durfte er es nicht mehr tun. Die Sachlage hat sich grundlegend geändert, seit der bisherige Verkehrsminister beschlossen hatte, doch lieber einen Prozess durchzustehen, als den Strafbefehl zu akzeptieren. Wenn ein Verfahren stattfindet, dann wird dort die Frage der Schuld geklärt. Nirgendwo sonst. Nicht im Kabinett und auch nicht in den Leitartikeln. Es spielt derzeit keine Rolle, wer Klimmt für schuldig oder unschuldig hält. Der Zeitpunkt für Mutmaßungen ist vorbei.
Kommentarvon BETTINA GAUS
Sicher, für Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Regierung ist der Rücktritt der bequemste Ausweg aus einer leidigen Affäre. Der Flurschaden lässt sich damit begrenzen. Im Blätterwald wird es ein wenig rauschen, aber nächste Woche läuft eine andere Sau durchs Dorf. Dennoch ist diese weithin erwartete Lösung aus Gründen der politischen Hygiene fatal. Niemand von denen, die Klimmt zum Rücktritt gedrängt haben, unterließ in diesem Zusammenhang den pflichtschuldigen Hinweis auf die Unschuldsvermutung, die auch für Politiker gelten müsse. Das muss sie tatsächlich. Es handelt sich dabei nicht um eine Frage der Etikette, sondern um einen zentralen Grundsatz jedes Rechtsstaates.
Es kommt nun allerdings vor, dass jemand strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann und dennoch aus politischen Gründen nicht mehr tragbar ist. Wenn das bei Reinhard Klimmt der Fall ist, dann muss diese Ansicht aus der Sache heraus begründet werden. Bisher ist das nicht geschehen. Das ausschließlich taktische Argument, dem zufolge die SPD es im Falle eines Prozesses gegen Klimmt im Untersuchungsausschuss zur CDU-Affäre schwerer haben wird, zeugt von alarmierend geringem Respekt vor rechtsstaatlichen Prinzipien.
Aber ist nicht auch Helmut Kohl moralisch verdammt worden, ohne strafrechtlich verurteilt worden zu sein? Ja. Aus gutem Grund. Das Hauptproblem hinsichtlich dessen, was dem ehemaligen Kanzler bisher nachgewiesen werden konnte – nicht im Zusammenhang mit unbewiesenen, weiteren Vorwürfen! – war seine Uneinsichtigkeit. Kohls Überzeugung, seine persönlichen Ehrbegriffe wögen schwerer als sein Amtseid auf die Verfassung, machen ihn politisch untragbar. Nicht die Spenden. Schade, dass die SPD nicht mutig genug gewesen ist, diese Differenzierung zwischen dem Fall Klimmt und dem Fall Kohl zu wagen.
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