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rennfrettchen und warmes bier von RALF SOTSCHECK

Der Engländer hat ulkige Hobbys: warmes Bier und kleine Tiere. Besonders froh ist er, wenn er beides kombinieren kann. Im New Inn, einer plüschigen Eckkneipe in Molesey in der Grafschaft Surrey, veranstaltet der „Friendly Ferret Club“ Frettchenrennen. Ein Club für freundliche Frettchen? Die Tiere, die wie in die Länge gezogene, blonde Ratten aussehen, sind nicht gerade freundlich, sie sind bissig wie ein Pitbull. Bei englischen Jungen gilt es als Mutprobe, ein Frettchen innen am Hosenbein hochkrabbeln zu lassen.

Vor dem Pub ist ein Tierkrankenwagen geparkt. Befürchtet der Rennveranstalter, dass die mit warmem Bier gefüllten Gäste über die Frettchen herfallen könnten? In der Kneipe hat man die Tische zur Seite geräumt und vier Drahtkäfige aufgebaut. Von den Käfigen führen schmale Plastikröhren zum fünf Meter entfernten Zielkäfig. An zwei Stellen sind die Röhren durch Maschendraht unterbrochen, damit man den Rennverlauf beobachten und die Tiere anfeuern kann. Der Engländer wettet nämlich auch gerne: An der Ziellinie steht der Totalisator, bei dem man auf Rot, Grün, Blau oder Gelb setzen kann. Das sind nicht die Farben der Frettchen, sondern der Plastikröhren.

Rodney setzt auf Rot: „Micky’s Magic Mover“. Weil die rote Röhre dem offenen Fenster am nächsten ist, habe er wegen der Frischluft einen Vorteil, vermutet Rodney. Die meisten anderen setzen auf „Pay Cash“ in der blauen Röhre, denn das ist die Farbe des Fußballvereins FC Chelsea, der hier sehr populär ist. Nachdem sich alle mit Wettscheinen und warmem Bier versorgt haben, kündigt der Schiedsrichter über ein schnarrendes Lautsprechersystem das erste Rennen an. Das Publikum drängelt sich um den Parcours, der mit Fotos der possierlichen Beißer dekoriert ist.

Die Frettchenbesitzer sind leicht zu erkennen: Sie haben völlig zerkratzte Unterarme. Nun tragen sie ihre scharfzähnigen Fellbeutel zu den Startkäfigen und stecken sie mit den Köpfen in die Röhren, halten sie jedoch an den Hinterbeinen fest, damit es keinen Fehlstart gibt. Auf das Startkommando lassen sie die Beine los, die Tiere verschwinden in den Röhren. Schließlich taucht „Micky’s Magic Mover“ am ersten Maschendrahtfenster auf, von den anderen drei Rennfrettchen keine Spur. Rodney verschüttet vor Aufregung sein warmes Bier.

Doch seine Vorfreude schlägt schnell in Entsetzen um: Micky ist ein neugieriges Frettchen. Es bleibt einfach stehen und schaut aus dem Drahtfenster, bis auch die anderen drei Rennteilnehmer die erste Etappe hinter sich gebracht haben. Rodney wirft mit einem Bierdeckel nach Micky, was verboten ist, aber wirkt. Der blonde Nager trabt in Richtung Ziel, kommt freilich nur bis zum zweiten Drahtfenster, wo er wieder Pause macht, bis ihn seine drei Konkurrenten eingeholt haben. Rodney verliert die Geduld und versucht, das Geräusch eines Wiesels, des Erzfeindes der Frettchen, nachzuahmen, woraufhin alle vier Teilnehmer in der Röhre verschwinden. Micky steckt als Erster den Kopf in den Zielkäfig, verharrt jedoch so lange, bis der „Hampton Flyer“ aus der gelben Röhre geschossen kommt und gewinnt, weil das Frettchen in vollem Umfang die Ziellinie überschritten haben muss. Rodney versucht, „Micky’s Magic Mover“ im warmen Bier zu ertränken.

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