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"...da ist noch was: die Sonne-betr.: "Wenn schon Vereinigung, dann mit Kamerun" (Über die Streitschrift "Von deutscher Bulimie" von Joseph von Westfalen), von Henryk M. Broder, taz vom 7.1.91

betr.: „Wenn schon Vereinigung, dann mit Kamerun“ (Über die Streitschrift „Von deutscher Bulimie“ von Joseph von Westphalen), von Henryk M.Broder,

taz vom 7.1.91

[...] Zum Thema der sogenannten deutschen Einheit kann nicht genügend Provokatives geschrieben und veröffentlicht werden. Oder würde sonst noch jemand sich nach kürzester Zeit erinnern, wie „der Zug der deutschen Einheit“ abgefahren ist? Max Bauer, Kaufering

Im Grunde waren es nicht das Volk gewesen, nicht die Massen, nicht die Menge der Individuen, die sich zu einem Ganzen vereinigten und in letzter Konsequenz die Mauer niederrissen. Die Revolution war nie Sache der Arbeiter und Bauern, geschweige denn der Angestellten. Wenn schon Begriffe fielen wie Revolution, Deutschland oder Geschichte, ist letzterer noch der sympathischste. Deutschland? Ein angesichts von Strukturen und Problemen überholter Schlachtruf, eine antike Floskel. Und Revolution? Traditionslos in Deutschland, und noch dazu war sie gewaltlos. Das alles verstand am Anfang vielleicht nur die Avantgarde, aber die Massen? Für sie waren Begriffe wie Revolution und Deutschland nichts anderes als Schlagworte und Werbeslogans, bald billig, im Sonderangebot, ausgehöhlt und abgenutzt. Je mehr aber dieses Phänomen der Wiedervereinigung alles überflutete, desto weniger wurde der letzte Begriff, der noch griff, in seiner vollen Tragweite begriffen: Geschichte. Es waren nicht die Ostdeutschen, dieses Volk angeblich ausgeprägten Klassenbewußtseins, die die Mauer niederrissen. Es waren die Bananen, die langsam über 40 Jahre lang, in jüngster Zeit immer stärker und gewichtiger aus dem Westen herüberdrückten. Und am Ende konnte auch das „Volk“ nicht mehr widerstehen. Kurz bevor die Mauer fiel — und damit ein ganzes Volk —, merkte auch die Masse des Volkes, daß sie soweit war und die Mauer dazu. Das ist Geschichte.

Wie hätte aber ein Volk von Duckmäusern und Mäuseduckern auf einmal „Freiheit“ schreien sollen? Schließlich, wenn in Deutschland Revolution war, schrien alle immer nur „Deutschland, Deutschland!“ Und niemand wußte genau, was das eigentlich heißen sollte. Außer einigen wenigen. So auch diesmal, Hauptsache: lieber Schwarz-Rot- Gold als Rot. Lieber Bananen als Rote Rüben. Lieber Blau als Grau (Extrabreit).

Geschichte ist, daß unsere Brüder, wie sie sich so gerne nannten, nach der Reisefreiheit in ihren Trabis gen Westen tuckerten, wo sie wie wir außer Bananen auch noch Zitronen und Mandarinen kaufen konnten. Das war unser Deutschland damals, ein Land, wo Milch und Honig flossen, ein Land, wo es nach Zimt und Zucker roch. Das alte Image war vergessen, die noch älteren begraben, Vergangenheit die Geschichte, und heute stehen wir vereinigt vermehrt auf dem Siegertreppchen und sind Weltmeister, Weltmeister sind wir geworden, unter dem Kaiser. Ein neuer Geist wehte durchs Land. So war das damals, als die Rechte die Linke überrollte.

Freiheit und Brüderlichkeit waren erreicht. In blauen Dunst gehüllt, genossen unsere Brüder die Freiheit. Ein Bild des Friedens, ein Bild, das für alle gleich erschien, für alle gleich war, weil alle nur noch mit Presse, Rundfunk und Fernsehen und ihren damit vollgestopften Köpfen dachten. Auf allen Kanälen die gleichen Programme geschaltet, mit dem Herzen ein Volk. Ein neuer Geist wird auferstehen, kein deutscher Geist mehr, ein internationaler Geist: „Auf dem richtigen Weg.“ Es ist der Weg zur Ware und dessen Austausch, nach Beschleunigung und Vergnügen, ein Spiel, hübsch, spannend, schnell und unterhaltsam. Und doch ist es immer gleich, nur die Verkaufsstrategien, der Zeitgeist, das Design und die Preise ändern sich. Die Materie, die Energie und die Menschen bleiben, waren gleich, sind gleich, einige gleicher und in Zukunft. Amen.

Mir ist dieses Ganze allenfalls gleich. Deshalb pflichte ich Joseph von Westphalen und Henryk M.Broder zu: „Wenn schon Vereinigung, dann mit Kamerun.“ Da sind die Leute zwar ärmer, die Autos langsamer, die Freizeit nicht so attraktiv, doch gesoffen wird noch mehr als bei uns, die Musik ist besser und lauter, es wird getanzt, und da ist noch was: die Sonne. Ich seh' das so: In einem Land, wo es kalt ist, wo man rennen muß, damit man, den anderen gleich, sich alles kaufen kann, da träumt man noch von der Sonne. Dagegen, in einem Land, wo einem alles gleich ist, wo die Sonne scheint..., und die Bananen auf den Stauden wachsen. Richard Weihermann,

Nürnberg

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