Interview: "Mein reifes Alterswerk"
■ "Flowerpornoes"-Kopf Liwa zur neuen Platte "Mamas Pfirsiche"
INTERVIEW
»Mein reifes Alterswerk«
Flowerpornoes-Kopf Liwa zur neuen Platte Mamas Pfirsiche
1986 erlebte das Publikum in der Hamburger Markthalle bei einem der weihnachtlichen Festivals den merkwürdigen Auftritt eines Duisburger Trios. Songsplitter und Fragilstmelodien schälten sich aus einem Gesamtsound, den auf der Bühne ein Schlagzeuger, eine Bassistin und der Kobold-Gitarrist Tom G. Liwa produzierten. 1988 erhielten diese Flowerpornoes für ihre zweite Platte unter anderem das Kompliment, sie hätten die besten Lyrics in Deutschland. Tom G. Liwa schrieb Notizbücher voll, in denen er die Stoffe für Songs, einen Roman oder Zeitungsartikel sammelte. Eine Reihe von ihnen hat er zwar zwischendurch weggeworfen, dem kreativen Fortkommen seiner Band tat das jedoch keinen Abgruch. Liwa komponierte und textete noch zu jeder Zeit Material für zwei Platten,
1von denen in der Regel eine erschien. Nach einem kollegialen Briefwechsel kamen er und die Betreiber des neugegründeten Moll-Labes überein, die nächste Flowerpornoes-Platte „Mamas Pfirsiche (für schlechte Zeiten)“ dort zu veröffentlichen.
Haben die Flowerpornoes bei der neuen Platte alles richtig gemacht?
Liwa (fliegt im Konferenzzimmer herum, verharrt schwebend knapp über dem Sofa und schlägt die Beine übereinander): Ich würde sagen, ich habe eine Menge hinter mir und muß tatsächlich niemand mehr irgendwas beweisen. Ich habe die Kolossale Jugend überlebt. Ich habe noch ein paar andere überlebt, und jetzt sitz ich hier mit einem reifen Alterswerk und das wird sich auch wieder keiner kaufen.
Die Platte zeigt aber einen Liwa, analytisch wie noch auf keiner vorher.
Ich habe eben gemerkt, daß mich Größenwahn nicht weiterbringt, mein Output ist kleiner geworden und ich bin jetzt mit Alex (Gilles- Videla, Gitarristin und Sängerin bei den Flowerpornoes) zusammen. Und ich lebe immer noch in einer Stadt mit Bekannten, die sich vielleicht zweimal im Jahr eine neue Platte kaufen.
Du hast dich in der jüngsten Vergangenheit sängerisch an Aufnahmen mit Wahlhamburger-Bands wie Die Sterne, Die Allwissende Billardkugel und Die Regierung beteiligt.
Den Diskurs in Hamburg halte ich auch für wichtig, aber ebenso einschneidend war für mich, mit einem Vierjährigen (Alex Gilles-Videlas Sohn) praktisch noch einmal sprechen zu lernen. Für mich gehörte das zu einem offensiven Rückzug ... erst stärken dann machen und beides mit einer Rückkopplung ins Private. Das hat sich auf „Mamas Pfirsiche“ ausgewirkt. Wir nahmen keine Balladen mehr auf, sondern vielmehr langsame Songs, die eigentlich keine langsamen Songs sind.
Die Platte klingt vertraut, vermittelt aber gleichzeitig ein ich-rück-dir-auf- die-Pelle-und-du-mußt-dich-schnell- entscheiden-Gefühl.
Vielleicht liegt das daran, daß die Zeitverhältnisse in einigen Songs abstrakt geworden sind. Manchmal kannst du eben nicht sagen, ob der Plot 14 Jahre umfaßt oder nur eine Stunde.
Haben sich die Flowerpornoes in den letzten Jahren öfter gehäutet?
Nicht nur das. Früher trieb uns ein ungestümer Enthusiasmus, der sich am ersten Stolperstein brach. Heute haben wir die Kraft, um direkt in die Stolpersteine hineinzugehen. Fragen: Kristof Schreuf
Konzert: 10. 5., Prinzenbar
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