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"Lustiger als Love Parade"

■ 25.000 Menschen tanzten beim ersten "Karneval der Kulturen" vom Herrmann- zum Mariannenplatz. Multikulti statt Vatertagstrinken soll Tradition werden

Seit gestern hat auch Berlin einen Karnevalsumzug. Über 25.000 Menschen säumten gestern den Kottbusser Damm in Kreuzberg, um eine endlose Karawane von verschiedenen Musikgruppen und mit dicken Musikanlagen bepackten Lastwagen an sich vorbeiziehen zu lassen. „Karneval der Kulturen“ nannte sich das Spektakel, das von nun an jedes Jahr im Frühling stattfinden soll.

Kreuzberg wippte ausgelassen im Tanzfieber: Mehrere Reggae- Wagen, diverse Samba-Truppen, eine koreanische Gruppe mit schrillen Kostümen und Masken, russische Märchentänzer, das HipHop-Mobil, indisch-tamilische Musik, arabischer Bauchtanz, traditionelle türkische Musik und ein Jungle-Dancehall-Wagen – einzig bonbonwerfende Jecken wie beim Karneval am Rhein suchte man vergeblich.

Das war auch ganz im Sinne der Veranstalter: Nicht der deutsche Tätä-tätä-Fasching sollte gefeiert werden, sondern ein Mulitkulti- Spektakel. „Die Gruppen haben ihre Präsentationen komplett selbst gemacht“, so Annett Szabo von der „Werkstatt der Kulturen“; sie als Veranstalter hätten lediglich geholfen, Sponsoren zu finden, und die Logistik zur Verfügung gestellt. Gedacht sei der Umzug als eine Bühne, auf der sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Stadt darstellen könnten. Dies sei neu in der Geschichte des Straßenkarnevals, der sonst meist aus einer karibischen Tradition heraus veranstaltet werde und die anderen Bevölkerungsteile nicht repräsentiere. Deshalb seien auch russische und asiatische Gruppen dabei, die eigentlich keine Karnevalstradition hätten.

Allerdings war das Publikum wesentlich weniger gemischt als die Aktivisten auf den Wagen. Türkische Familien waren an der Straße seltener zu sehen als an einem normalen Wochentag, die Szenerie wurde vom „deutschen“ Publikum dominiert.

Es waren eher die Wagen, die „Multikulti“, die vielbeschworene Mischung der Kulturen, repräsentierten. Der guten Stimmung tat das aber keinen Abbruch: „Viel lustiger als die Love Parade“ fand es Jungle-DJ Bass-Dee, und Manal, mit Tochter aus Friedrichshain hergekommen, stellte mit Erstaunen fest, „wie gut die Sambamusik pumpt“.

So tanzte der Zug in Richtung Mariannenplatz, wo mit mehreren stationären Soundsystemen noch bis in die Nacht weitergefeiert werden sollte. Die Veranstalter hoffen, eine neue multikulturelle Karnevalstradition begründet zu haben.

Ein Teil der Bevölkerung war auf jeden Fall unterrepräsentiert: Die Vatertagstrinker mieden die Gegend gestern weiträumig. Tobias Rapp

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