: "Liebe taz..." - Dreharbeiten in Privatwohnung nicht genehmigt! Betr.: "Live aus dem Fotoalbum des Angeklagten", taz vom 5.6.1997 Offner Brief an Radio Bremen
Betr.: „Live aus dem Fotoalbum des Angeklagten“, taz 5.6. Offener Brief an Radio Bremen Die von Radio Bremen produzierte Reportage: „Der Fall Stradivari“läßt die Illusion schwinden, es handele sich bei der hiesigen Fernsehanstalt um eine Institution, die sich in ihrer Berichterstattung um Ausgewogenheit und Wahrheitsliebe bemüht. Vasile D. befindet sich in Bremen ohne Auflagen auf freiem Fuß. Er hofft, daß in dem Prozeß endlich seine Unschuld bewiesen wird und daß die anhaltende Vorverurteilung gegen ihn eine Ende hat. Er hat einen kürzlichen Besuch in Rumänien nicht dazu genutzt, um dort zu bleiben. Er stellt sich den Anschuldigungen und beweist damit mehr moralisches Profil als eine sensationslüsterne Medienwelt, der das Schicksal einer Einzelperson egal zu sein scheint.
Wir bekamen einen Film zu sehen, der sich sensationsheischend auf der Ebene einer von den privaten Fernsehanstalten hinlänglich vertrauten Reality-Show bewegt. Der Tenor des Beitrages ist die rücksichtslose Vorverurteilung des jungen Geigers Vasile D., der zur willkommenen Beute eines gewissenlosen Journalismus wird. Schon die Anmoderation gibt die Richtung des Films vor, nämlich den kalten Zynismus eines jungen Mannes, der als Anstifter zur Tat an Maria Grevesmühl verdächtigt wird. Die weiteren Wort- und Bildsequenzen folgen diesem Prinzip: Da wird von der Kripobeamtin Petra Rumpf betont, wie eiskalt der junge D. doch sei, und das bloß, weil er vehement seine Unschuld beteuert, obwohl das sein gutes Recht ist. Man beachte auch die folgende verächtliche Äußerung des dabeistehenden Kripobeamten Gartelmann: „Kannst du dir vorstellen, wie sich diese total musikbegeisterte Frau für den engagiert hat?“Solch' verurteilende Worte bekommen wir über den „Schupser“, Marin B., nicht zu hören. Die Raub-mit-Todesfolge-Theorie vermittelte sogar eine unterschwellig verhaltene Sympathie für den Täter. Dirk Blumenthal folgt durch diese bewußt in seinen Film hineingeschnittene Szene den rüden Worten des Chefs der Bremer Mordkommission, Wolfgang Rau: „Undank ist der Welt Lohn!“
Ich frage mich außerdem, wer dem Fernsehteam die Dreherlaubnis für die Privatwohnung der beiden Brüder erteilt hat? Haben wir es hier nicht mit einer groben Verletzung bürgerlicher Grundrechte zu tun? Zudem stellt der Autor die im Februar erfolgte Entlassung der beiden Brüder D. in unlauteren Zusammenhang mit dem Ausbruch des geständigen Täters Marin B. Mit keiner Silbe erwähnt er, daß die Entlassung maßgeblich einem namhaften Bremer Strafrechtler zu verdanken ist, der die angeblichen Beweise für deren Täterschaft widerlegen konnte. Trotz vorliegendem Angebot hielt es Dirk Blumenthal nicht für notwendig, Vasile D., seinen Anwalt oder andere entlastende, mit diesem Fall vertraute Personen zu befragen. Dem tragischen Tod der Maria Grevesmühl folgen jetzt journalistische Mutmaßungen. Dirk Blumenthal avanciert in diesem Beitrag zum Ermittlungsbeamten, Ankläger und Richter, dabei gilt nach gängiger deutscher Rechtsnorm das Prinzip, daß jemand solange unschuldig ist, bis seine Schuld über den Richterspruch festgestellt wird.
Chris Steinbrecher
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