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■ RIESENVENTILATOREN SOLLEN MEXICO-STADT ENDLICH SAUBERPUSTEN"Hurracan" in "Smogotitlan"

„Hurracan“ in „Smogotitlan“

Mexiko-Stadt (ap/taz) — Hundert riesige Ventilatoren sollen künftig die gebeutelten Bewohner der mexikanischen Hauptstadt wieder unbeschwert aufatmen lassen. Erstmals ziehen nun Regierungs- und Oppositionspolitiker an einem Strang, um ein gigantisches Projekt in Gang zu setzen, das der Natur ein Schnippchen schlagen soll.

Schon seit Jahren nennen die Mexikaner ihre Hauptstadt ironisch „Smogotitlan“. Die Wortschöpfung entstand aus dem Namen der alten Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan und dem englischen Wort Smog und verweist auf die besonderen geographischen Bedingungen in der größten Stadt des Erdballs: Die Kessellage im zentralen Hochland von Mexiko. Die Insellage Tenochtitlans war für die Azteken von großem strategischen Vorteil. Sie waren inmitten des großen, von Vulkanen umgebenen Sees hervorragend vor ihren Feinden geschützt. Doch die modernen Mexikaner fühlen sich in diesem auf 2.400 Meter Höhe liegenden Kessel wie gefangen: Die von Auto- und Industrieabgasen verpestete Luft zieht kaum ab.

Besonders während der Inversionswetterlagen im Winter steigen die Werte des staatlichen Luftmeßnetzes IMECA auf bedenkliche Höhen. Der Rundfunk empfiehlt, wenigstens morgens keinen Sport zu treiben, viel Obstsaft zu trinken, am besten nicht auf die Straße zu gehen und den Kindern Atemschutzmasken vors Gesicht zu binden. An einem Werktag in der Woche muß jedes Auto stehenbleiben. Doch wenn die kalten Luftschichten längere Zeit wie ein Deckel über der Stadt liegen, kommt es zu Szenen wie aus einem Science- fiction-Film: An diesen Tagen haben die Kinder „smogfrei“. Sie würden ihre Schule bei Sichtweiten, die denen eines Schnorchlers im Rhein entsprechen dürften, auch kaum finden. Die Autos stehen für einen weiteren Tag in der Woche, und die 200 am stärksten verschmutzenden Fabriken müssen ihre Produktion einstellen. Nach Schätzungen der Weltbank gehen 6.400 Opfer alljährlich auf das Konto des Drecks über der Stadt.

Was liegt also näher, dachte sich der führende Oppositionspolitiker und Ingenieur Hebert Castillo, als den Deckel anzuheben, damit der Dreck abziehen kann. Und so entwarf er das Projekt „Hurracan“: Hundert riesige Ventilatoren sollen in einer Art künstlich erzeugtem Wirbelsturm die Luftmassen über der Stadt anheben. Auf diese Weise, hofft Castillo, wird der Deckel kalter Luft zerrissen. „Das Prinzip kennen wir doch alle von den Heißluftballons: Warme Luft steigt nach oben“, erläutert Castillo. Man müsse die Luft nur aufsteigen lassen, und zu diesem Zweck die Ventilatoren einsetzen. Einen potenten Fürsprecher für seine Makro-Propeller hat Castillo schon gefunden: den direkt vom Präsidenten eingesetzten Regenten der Hauptstadt, Camacho Solis. Beide gemeinsam wollen nun noch die Stadtversammlung von dem frischen Wind überzeugen; die jedoch schreckt bislang noch vor den hohen Kosten zurück.

Auch das unabhängige Institut für Ökologische Forschungen, INAINE, betrachtet den Plan mit kritischem Blick. Die Wissenschaftler um Luis Manuel Guerra befürchten, daß die ganze Umgebung viel stärker mit verschmutzter Luft belastet werden könnte als bisher schon. Das Problem des Smogs sei mittlerweile so groß geworden, daß es an der Wurzel, also der Industrie und den Autoabgasen, gepackt werden müsse. Es sei nicht genug, den Dreck einfach nur zu verteilen. Die Karikaturisten spotten bereits über die erwarteten Folgen eines Einsatzes der Ventilatoren: „Dann können wir endlich wieder rauchen wie die Schlote.“

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